§ 114 ZPO; § 55 RVG

Leitsatz

  1. Wird für mehrere getrennt geführte Verfahren jeweils gesondert Prozesskostenhilfe bewilligt, kann die Landeskasse im Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht mehr einwenden, dass das Vorgehen in getrennten Klagen mutwillig gewesen sei.
  2. Wird Prozesskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs bewilligt, bleibt es grundsätzlich bei einer 1,5-Einigungsgebühr.

LAG München, Beschl. v. 21.2.2023 – 11 Ta 31/23

I. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war dem Kläger im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage vor dem ArbG beigeordnet worden. Am selben Tag hatte der Beschwerdeführer für die Ehefrau des Klägers eine weitere gesonderte Klage eingereicht. Auch hierfür ist PKH bewilligt und der Beschwerdeführer beigeordnet worden. Beide Verfahren wurden dann jeweils durch einen sog. Mehrwertvergleich abgeschlossen. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin in beiden Verfahren die Festsetzung seiner jeweiligen Vergütung, darunter auch jeweils einer 1,5-Einigungsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleichs. Die Urkundsbeamtin hat den Vergütungsfestsetzungsantrag teilweise zurückgewiesen. Sie hat für beide Verfahren insgesamt nur eine einheitliche Vergütung aus dem Gesamtwert bewilligt. Zudem hat sie die Einigungsgebühr aus dem Mehrwert auf einen Gebührensatz von 1,0 gekürzt. Die hiergegen erhobene Erinnerung hatte keinen Erfolg. Der Richter hat ausgeführt, dass das Vorgehen, getrennte Klagen einzureichen, gegen das Gebot der Prozesswirtschaftlichkeit verstoßen habe, sodass die Vergütung nur in dem Umfang wie geschehen festzusetzen sei. Auch sei nur eine 1,0-Einigungsgebühr aus dem Mehrwert angefallen. Beides entspreche der st. Rspr. des LAG München. Daher sei die Beschwerde auch nicht zuzulassen, soweit der Beschwerdewert nicht erreicht werde. Auf die dagegen erhobene Beschwerde hat das LAG die angemeldete Vergütung antragsgemäß festgesetzt.

II. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde war zulässig, da der erforderliche Wert der Beschwerde von über 200,00 EUR gegeben war.

III. Begründetheit der Beschwerde

1. Bindungswirkung der Beiordnung

Dem Beschwerdeführer steht die vollständige von ihm beantragte Vergütung für das vorliegende Verfahren zu. Dem steht der Grundsatz der möglichst wirtschaftlichen Prozessführung nicht entgegen. Zwar hat der Beschwerdeführer nahezu identische Verfahren hinsichtlich der Klägerin und ihres Ehemannes eingereicht; jedoch ist in jedem Verfahren unabhängig voneinander PKH uneingeschränkt bewilligt und der Anwalt beigeordnet worden. Insoweit kann die Frage einer eventuellen Mutwilligkeit nicht mehr im Vergütungsfestsetzungsverfahren überprüft werden.

Die nunmehr zuständige 6. Kammer gibt insoweit die bisher von der 11. Kammer vertretene Ansicht unter Anschluss an die Rspr. des BAG (NJW 2011, 1161) auf. Eine Rechtsverfolgung kann zwar mutwillig i.S.d. § 114 S. 1 ZPO sein, wenn eine nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihr Recht nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht, der genauso erfolgversprechend ist.

Insoweit kann durchaus eine Mutwilligkeit vorliegen, wenn getrennte Prozesse geführt werden, obwohl ein einheitlicher Prozess möglich ist.

Indes kann die Frage der Mutwilligkeit nicht mehr im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens nach § 55 Abs. 1 RVG berücksichtigt werden. Denn schon der Wortlaut des § 114 S. 1 ZPO bindet die Bewilligung von PKH für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung daran, dass diese nicht mutwillig ist. Wenn eine bedürftige Partei von zwei möglichen Wegen denjenigen Weg beschreitet, der kostspieliger ist, dann ist nach dem Wortlaut des § 114 S. 1 ZPO die Bewilligung von PKH von vornherein ausgeschlossen. Dies ist aber eine Frage der Bewilligung. Ist für getrennte Verfahren getrennt PKH bewilligt und der Anwalt beigeordnet worden, kann diese ggf. fehlerhafte Entscheidung nicht mehr korrigiert werden. Denn mit der Bewilligung von PKH wird gleichzeitig festgestellt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist. Würde erst im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt, dass eine bedürftige Partei einen Anspruch statt mit einer zweiten Klage kostengünstiger durch Klageerweiterung oder subjektive Klagenhäufung hätte geltend machen können, kann eine solche Erweiterung einer bereits anhängigen Klage nicht mehr vorgenommen werden. Würde hingegen im PKH-Bewilligungsverfahren dies bemängelt, wäre eine rechtzeitige Korrektur noch möglich.

Ob nachvollziehbare Sachgründe für eine getrennte Prozessführung vorliegen, ist vom Gericht im Bewilligungsverfahren zu beurteilen und nicht vom Urkundsbeamten im Kostenfestsetzungsverfahren (LAG Hamburg AGS 2016, 433; LAG Nürnberg NZA-RR 2016, 36; LAG Frankfurt, Beschl. v. 15.10.2012 – 13 Ta 303/12).

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO eine entsprechende Prüfung kostensparender Rechtsverfolgung vorgenommen werden kann, da dort gerade kein Verfahren vorgeschaltet ist, wie vorliegend das Verfahren zur Bewilligung von...

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