§ 91 ZPO; Nr. 2300 VV RVG
Leitsatz
Haben die Parteien eines Rechtsstreits einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen, wonach der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits übernehme und ferner einen Ersatz für "sämtliche außergerichtliche Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit" zahle, so kann der Kläger keine weitere Geschäftsgebühr ersetzt verlangen, wenn der Beklagte in Verzug gerät und die Vergleichssumme angemahnt werden muss.
AG Delmenhorst, Urt. v. 15.2.2023 – 48 C 8533/22 (XV)
I. Sachverhalt
Anlässlich eines Rechtsstreits hatten die Parteien außergerichtlich einen Vergleich geschlossen, der auch vorsah, dass der Beklagte einen bestimmten Betrag zahle und darüber hinaus eine beim Kläger angefallene 2,0-Geschäftsgebühr übernehme, und zwar – so wörtlich – für "sämtliche außergerichtliche Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit". Nachdem die Beklagte innerhalb der vereinbarten Zahlungsfrist die Vergleichszahlung nicht geleistet hatte, ließ der Kläger die Vergleichszahlung durch seinen Anwalt anmahnen und verlangte hierfür den Ersatz einer weiteren verzugsbedingten Geschäftsgebühr aus dem Wert der Vergleichssumme. Das AG hat die Klage abgewiesen.
II. Erstattung ausgeschlossen
Das Gericht ist davon ausgegangen, dass schon dem Grunde nach ein Erstattungsanspruch nicht bestehe, sondern durch den Vergleich ausgeschlossen worden sei. Die Klausel im Vergleich, wonach "sämtliche außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit" abgegolten sein sollten, erfasse auch die weitere Geschäftstätigkeit hinsichtlich des Anmahnens der Vergleichssumme. Dafür könne keine gesonderte Vergütung verlangt werden.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Weitere Geschäftsgebühr ?
Die erste Frage, die sich stellte, war die, ob für das Anmahnen der Vergleichssumme eine neue Geschäftsgebühr angefallen ist. Dies dürfte zu bejahen sein. Mit Abschluss des Vergleichs war die Angelegenheit erledigt. Der Vergleich hat eine neue selbstständige Forderung geschaffen.
Wird der Anwalt sodann beauftragt, aus dem Vergleich vorzugehen (hier außergerichtliche Mahnung) stellt dies eine neue Angelegenheit dar. Es verhält sich nicht anders als bei einem gerichtlichen Vergleich. Wird nach einem gerichtlichen Vergleich nicht gezahlt und muss die Vergleichssumme "angemahnt" werden, handelt es sich auch insoweit um eine neue Angelegenheit, dort allerdings um eine Angelegenheit der Zwangsvollstreckung (Vollstreckungsandrohung), die eine 0,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV auslöst. Da hier jedoch kein vollstreckbarer Titel vorlag, ist eine Geschäftsgebühr entstanden.
2. Erstattung?
Die zweite Frage die sich stellt, war die, ob diese Geschäftsgebühr zu erstatten sei. Auch dies wäre zu bejahen gewesen. Gerät der Schuldner mit einer vergleichsweise zugesagten Zahlung in Verzug, dann hat er die daraus entstandenen verzugsbedingten Kosten (hier Anwaltskosten) zu ersetzen. Die Abgeltungsklausel im Vergleich konnte ersichtlich nur die Geschäftsgebühr betreffen, die bis zum Abschluss des Vergleichs angefallen war.
Hätte der vormalige Kläger nicht gemahnt, sondern hätte er sogleich Klage aus dem Vergleich erhoben, wäre die dann angefallene Verfahrensgebühr ja auch nach § 91 ZPO erstattungsfähig gewesen. Wenn der Gläubiger stattdessen noch einmal vorgerichtlich mahnt, anstatt sofort einen Prozessauftrag zu erteilen, kann dies doch nicht zu seinem Nachteil gereichen.
3. Besser Vergleich protokollieren lassen
Zweckmäßiger wäre es gewesen, das Zustandekommen des Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich feststellen zu lassen. Dann hätte ein vollstreckbarer Titel vorgelegen. Es hätte dann nicht mehr außergerichtlich zur Zahlung angemahnt werden müssen; vielmehr hätte sogleich eine Vollstreckungsandrohung ausgesprochen werden können. Hier wäre die Frage der Abrechnung und der Kostenerstattung eindeutig gewesen.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 4/2023, S. 172