1. Entsprechende Anwendung
Ich hatte ja schon in AGS 2023, 74 dargelegt, dass m.E. eine entsprechende Anwendung in Betracht kommt und das LG Nürnberg-Fürth, den richtigen Weg eingeschlagen hatte (ebenso falsch wie das OLG Nürnberg übrigens auch noch: LG München I, Beschl. v. 24.11.2021 – 26 Qs 60/21 und AG München, Beschl. v. 20.102.2021 – 845 DS 235 Js 136362/21). Dazu noch einmal:
Das 1. JuMoG hat in § 411 Abs. 1 S. 3 StPO die Möglichkeit eingeführt, auch im Strafverfahren nicht in einer Hauptverhandlung, sondern in einem schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Das ist danach zulässig, wenn der Angeklagte seinen Einspruch gegen einen Strafbefehl auf die Höhe der Tagesätze einer Geldstrafe beschränkt hat. Erforderlich ist allerdings die Zustimmung des Angeklagten zu dieser Verfahrensweise (dazu Hillenbrand, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 4204 ff.). Hat der Verteidiger an der Zustimmungserklärung des Angeklagten mitgewirkt und wird dadurch eine Hauptverhandlung – trotz Einspruchs – entbehrlich, waren die gebührenrechtlichen Konsequenzen (in der Vergangenheit) vom RVG nicht erfasst. Umstritten war früher, ob auf diese Fallkonstellation die Nr. 4141 VV analog angewendet werden konnte. Die Frage ist durch die (Neu-)Regelung in der Nr. 4 der Anm. Abs. 1 durch das 2. KostRMoG gesetzlich geregelt.
Nicht geregelt ist, insoweit hat das OLG Nürnberg Recht, allerdings nach wie vor die Frage, ob die Nr. 4141 VV entsteht, wenn der Rechtsanwalt nach Eröffnung des Hauptverfahrens noch daran mitwirkt, dass in das Strafbefehlsverfahren nach § 408a StPO übergegangen und somit eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Das ist m.E. in entsprechender Anwendung der Anm. Abs. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV zu bejahen (so auch AG Bautzen AGS 2007, 307 m. Anm. Holzauer; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, VV 4141 Rn 142; N. Schneider, AGS 2011, 488, 493; Ders., NZV 2014, 149, 150; Ders., DAR 2015, 771, 772; auch AGkompakt 2014, 122, 127, a.A. AG Tiergarten, Beschl. v. 4.2.2021 – 254 Ds 231/19, AGS 2021, 213).
Offen ist zudem eben auch immer noch die hier streitige Frage, ob die Nr. 4141 VV entsteht, wenn sich Verteidiger, Gericht und Staatsanwaltschaft über den Erlass eines Strafbefehls verständigen, der vom Mandanten anerkannt wird, sodass kein Einspruch eingelegt wird. Auch in diesen Fällen wird eine Hauptverhandlung vermieden, sodass vom Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV ebenfalls eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu bejahen ist (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4141 Rn 33; a.A. N. Schneider, DAR 2015, 771, 772; Ders., NZV 2014, 149, 151, Ders., DAR 2017, 431, der den entsprechenden Mehraufwand des Verteidigers über § 14 Abs. 1 honorieren will; LG Bad Kreuznach RVGreport 2018, 60; LG Kempen, RVGreport 2018, 422; LG Mannheim, RVGreport 2017, 262 = AGS 2017, 276 = DAR 2017, 430 m. zust. Anm. N. Schneider). Der Fall ist von der Interessenlage zudem, was auch das OLG Nürnberg sieht, vergleichbar mit der Anm. Abs. 1 Nr. 3 zu Nr. 5115 VV im Bußgeldverfahren. Ein Grund für eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden vergleichbaren Fälle ist nicht ersichtlich (zu Anm. Abs. 1 Nr. 3 zu Nr. 5115 VV die Komm. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 5115 VV Rn 44 ff.). Das lässt sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, die Nr. 4141 VV sei keine "Kompensationsgebühr". Das ist sie eben doch. Sie kompensiert nämlich – ebenso wie schon die Vorgängervorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO – den durch die Mitwirkung des Verteidigers an der Beendigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung eintretenden "Verlust" der Hauptverhandlungsterminsgebühr beim Verteidiger (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4141 VV Rn 1 f. m.w.N.). Den muss der Verteidiger also ggf. anderweitig ausgleichen. Ergebnis dieser Rspr. des OLG wird daher sein, dass nun eben Verfahren nicht "vereinfacht" durch Strafbefehl erledigt werden. Verteidiger werden erst Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegen (wollen), um den dann zurückzunehmen und die Anm. Abs. 1 Nr. 3 zu Nr. 4141 VV abzurechnen. Damit ist den Zielen der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung nun wahrlich nicht gedient.
2. Appell an BRAK/DAV
Ich kann nur an die zuständigen Ausschüsse von DAV und BRAK appellieren, dafür zu sorgen, dass in einem 3. KostRMoG oder einem KostRÄG nun endlich solche Fragen, wie die hier entschiedene, geklärt werden. Man sollte sich jetzt vielleicht nun mal Teil 4 und 5 VV vornehmen und dort Änderungen durchsetzen und nicht immer nur Teil 2 und 3 VV ändern/verbessern (?). Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Verteidiger haben keine Lobby.
3. "Fragwürdig"
Die Entscheidung beweist i.Ü. mal wieder: Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein OLG seine einmal gefasste Meinung aufgibt. So auch hier. Mich wundert es nicht wirklich. Erst recht nicht für Bayern. Allerdings: Mit der Entscheidung muss man leben, auch wenn es schwer fällt.
Mich persönlich ärgert an dem Beschluss die Formulierung: "fragwürdig" in Zusamme...