§ 14 RVG

Leitsatz

Die Rahmengebühr eines Strafverteidigers i.S.d. § 14 Abs. 1 RVG ist nicht zu mindern, wenn die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft stellt ihren Antrag erst am Ende der Hauptverhandlung und dieser bindet das erkennende Gericht nicht. Deswegen hat ein gewissenhafter Strafverteidiger die Hauptverhandlung einschließlich seines eigenen Schlussvortrags mit demselben Aufwand vorzubereiten und zu halten wie bei jedem anderen Antrag der Staatsanwaltschaft auch.

LG Karlsruhe, Beschl. v. 6.12.2023 – 16 Qs 57/23

I. Sachverhalt

Dem ehemaligen Angeklagten ist das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen Volksverhetzung gem. §§ 86a Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 3, 52 StGB vorgeworfen worden. Nach Einspruch gegen den gegen ihn erlassenen Strafbefehl hat beim AG die Hauptverhandlung stattgefunden, und zwar zunächst am 1.3.2023 von 11:02 Uhr bis 11:16 Uhr und dann noch am 22.3.2023 von 14:52 Uhr bis 15:00 Uhr. In der Hauptverhandlung haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung beantragt, den Angeklagten freizusprechen. Dem ist das AG gefolgt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.

Der Angeklagte hat die Erstattung der bei ihm entstandenen Verteidigerkosten beantragt. Geltend gemacht worden sind auch bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV und der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV die Mittelgebühren. Der Vertreter der Staatskasse hat geltend gemacht, diese seien niedriger anzusetzen. Zu berücksichtigen sei u.a. auch, dass die Staatsanwaltschaft ebenfalls einen Freispruch gefordert habe. Dem ist das AG gefolgt und hat bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV nur 170,00 EUR und bei der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV nur 140,00 EUR festgesetzt. Die u.a. dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten hatte Erfolg. Das LG hat die vom Verteidiger angesetzte Mittelgebühr festgesetzt.

II. Bemessung der Rahmengebühren

Die erstattungsfähige Gebühr innerhalb des Rahmens des Vergütungsverzeichnisses des RVG hänge von den in § 14 RVG aufgeführten Umständen ab. Die Angemessenheit der von dem Verteidiger bestimmten Gebühr werde im Kostenfestsetzungsverfahren überprüft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 464b Rn 3). Der Rechtsanwalt dürfe zwar nicht ohne Abwägung der Bemessungskriterien stets die Mittelgebühr abrechnen. Denn die Mittelgebühr sei lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung des Rechtsanwalts. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG von dem Durchschnitt abweiche, sei dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen. Dem sei aber hier nicht so.

Dabei hat das LG berücksichtigt, dass es sich um eine Sache vor dem AG gehandelt hat. Dort sei der Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zwar leicht überdurchschnittlich bedeutsam, nicht jedoch im für die Mittelgebühr maßgeblichen Vergleich auch mit Verfahren vor dem OLG und LG. In Anbetracht der Umstände hat die Kammer die Ansetzung der Mittelgebühr gleichwohl gem. § 14 RVG als angemessen angesehen. Die Schwere der dem ehemaligen Angeklagten vorgeworfenen Delikte – Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung – begründe eine überdurchschnittliche Bedeutung des Falles. Die Komplexität, insbesondere die Klärung von Mobiltelefonnummern sowie die Bewertung einer Zeugenaussage haben einen erhöhten Arbeitsaufwand für den Verteidiger erfordert. In der Gesamtschau der dargelegten Gründe erweise sich die Mittelgebühr als sachgerecht und den Erfordernissen des Falles entsprechend.

Der von der Staatsanwaltschaft beantragte Freispruch stand dem nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. Zwar sei das deutsche Strafverfahren nicht kontradiktorisch ausgestaltet, und die Staatsanwaltschaft als objektive Behörde gem. § 160 Abs. 2 StPO ermittle auch entlastende Umstände zugunsten der Beschuldigten. Ihren Antrag stellt die Staatsanwaltschaft indes erst am Ende des Verfahrens. Bereits deswegen sei ein erst zu diesem Zeitpunkt erkennbarer Anknüpfungspunkt ungeeignet, um eine angeblich geringere Komplexität des Verfahrens aus Verteidigersicht bis dahin rückwirkend zu rechtfertigen. Soweit auf den Schlussvortrag abzustellen sei, habe diesen ein gewissenhafter Strafverteidiger beim Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft schon im Wesentlichen vorbereitet. Zudem entfalte auch ein übereinstimmender Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung keine Bindungswirkung für das Gericht, sodass ein gewissenhafter Strafverteidiger auch dann noch umfassend vortragen werde.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Sicht des LG ist zutreffend. Denn würde man bei der Bemessung der Verteidigergebühren auch auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Freispruchantrag der Staatsanwaltschaft abstellen, würde man "das Pferd von hinten aufzäumen." Denn der von der Staatsanwaltschaft am Ende des Verfahrens gestellte Antrag sagt nichts über die Schwierigkeit des Verfahrens und den erforderlichen Umfang der bereits zuvor erbrachten Tätigkeiten des Verteidigers aus. D...

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