1. Stand der Rechtsprechung

In Rspr. und Lit. ist umstritten, ob der wegen Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers (nur) für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger als Vergütung für seine Tätigkeit nur die Terminsgebühr erhält oder ob ihm darüber hinaus auch eine Grund- und ggf. eine Verfahrensgebühr zustehen (vgl. die Nachw. zum Streitstand bei OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV 4100, 4101 Rn 5; BeckOK RVG/Knaudt, 58. Ed., Stand 1.12.2022, RVG VV Vorbemerkung Rn 19–22).

a) Nur Terminsgebühr

Nach einer Ansicht ist der lediglich für einen gerichtlichen Termin als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers beigeordnete Verteidiger gebührenrechtlich nicht dem zuvor bereits für das gesamte Verfahren beigeordneten Pflichtverteidiger gleichgestellt. Der zeitlich befristet bestellte Verteidiger sei nicht als weiterer Pflichtverteidiger, sondern lediglich als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers bestellt, weshalb insgesamt nur ein Pflichtverteidigermandat abrechnungsfähig sei. Lasse sich ein Verteidiger in einem Termin durch einen anderen Verteidiger – mit Zustimmung des Gerichts – vertreten, könne dies nicht dazu führen, dass Grund- und Verfahrensgebühr mehrfach entstehen. Andernfalls könne ein Pflichtverteidiger, der sich an verschiedenen Sitzungstagen durch verschiedene Vertreter vertreten lasse, zahlreiche Gebührentatbestände entstehen lassen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestünde (zu allem KG RVGreport 2011, 260 = StRR 2011, 281 = NStZ-RR 2011, 295 = JurBüro 2011, 479; OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Koblenz RVGreport 2013, 17 = JurBüro 2013, 84 = StRR 2013, 304; OLG Oldenburg RVGreport 2015, 23).

b) Auch Grund- und Verfahrensgebühr

Nach überwiegender Rechtsauffassung in Rspr. und Lit. beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger des Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Termingebühren, sondern umfasse alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV (ausf. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023, 195; ebenso OLG Bamberg NStZ-RR 2011, 223 [Ls.]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – 1 Ws 318/08; OLG Jena, Beschl. v. 14.4.2021 – (S) AR 62/20, AGS 2021, 394 = JurBüro 2021, 576; OLG Köln RVGreport 2010, 462 = AGS 2011, 286; OLG München NStZ-RR 2009, 32 = StRR 2009, 120 = RVGreport 2009, 227; OLG Nürnberg RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118).

2. Auffassung des OLG

Das OLG schließt sich der h.M. an. Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger sei für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als "Vertreter" des bereits bestellten Verteidigers sehe die StPO nicht vor. Dies folge bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen könne, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt sei (vgl. BGH StV 1981, 393; StV 2011, 650, BGH, Beschl. v. 15.1.2014 – 4 StR 346/13; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023, 195). Eine solche Vertretung in der Verteidigung sei nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 S. 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 S. 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschl. v. 15.1.2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers werde vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen habe. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setze auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich sei. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entstehe die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordere (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.2.2011 – 4 Ws 195/10, NJOZ 2012, 213 = AGS 2011, 224), verbiete sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach um Festgebühren handele, die grds. unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen (ausf. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023, 195).

Der Anspruch des wegen Verhinderung des ...

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