1. Vorab
Man kennt nicht alle im Hinblick auf die Gewährung einer Pauschgebühr vergütungsrechtlich relevanten Umstände des Wirtschaftsstrafverfahrens und ist daher zur Beurteilung der Entscheidung auf die vom OLG mitgeteilten Umstände angewiesen. Diese sind aber recht mager: Zum "besonderen Umfang" führt das OLG nur an: 50.000 Blatt Akten bis zum Beginn der Hauptverhandlung, wobei offen bleibt, wie sich der Aktenbestand danach erhöht hat, zusätzlich drei Terrabyte elektronischer Daten, insgesamt 168 Tage Hauptverhandlungstermine zwischen 16.11.2015 und 9.7.2018, also eine Hauptverhandlungsdichte von 1,2 Hauptverhandlungstagen/Woche, eine Vielzahl (wie viel konkret?) von Haftbesuchen; sowie zur "besonderen Schwierigkeit", dass besondere Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank- und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts eine Rolle gespielt haben. Diese doch recht dürftigen Umstände machen es – wieder mal – schwierig, die Richtigkeit der Entscheidung abschließend zu beurteilen.
2. Allerdings
Wenn das OLG das Verfahren selbst wegen seiner Komplexität und des Umfangs als eines "der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte" ansieht, spricht doch vieles dafür, dass die festgesetzte Pauschgebühr von 23.000,00 EUR erheblich zu niedrig ist. Ob nun die beantragten 300.000,00 EUR angemessen gewesen wären, kann man diskutieren, aber nur 23.000,00 EUR sind doch zu mager. Bei der Gelegenheit: Die von der Vertreterin der Staatskasse als angemessen angesehenen 2.240,00 EUR (!!) sind eine Frechheit und waren dann wohl selbst dem OLG zu niedrig.
Anzumerken ist im Einzelnen:
a) Man fragt sich zunächst allgemein: Was soll es eigentlich, ein Verfahren wegen "seiner Komplexität und des Umfangs als eines der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte" anzusehen, wenn man dem dann bei der Bemessung der Pauschgebühr nicht gerecht wird. Und Ansatzpunkte waren genügend da. Vielleicht hätte man sich mal mit der Berücksichtigung des "Gesamtgepräges" des Verfahrens (vgl. dazu mit der OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2007 – 2 [s] Sbd. IX-150/06; Beschl. v. 16.3.2007 – 2 [s] Sbd. IX-30/07; vgl. auch OLG Stuttgart RVGreport 2008, 383 = StRR 2008, 359 m. Anm. Burhoff = Rpfleger 2008, 441) befassen können? Das hätte sicherlich – allein schon wegen der langen Verfahrensdauer von fast 10 Jahren die – zugegeben nicht sehr hohe – Verhandlungsdichte – die zugrunde liegende Berechnungsmaßstäbe der OLG-Rspr. als richtig unterstellt – relativiert, wobei offen bleibt, wie lange die Hauptverhandlungstermine durchschnittlich gedauert haben. Oder: Wie ist der Umstand zu bewerten, dass das Verfahren nicht nur "besonders umfangreich", sondern eben auch "besonders schwierig" war, wobei hier wohl – um einen Begriff aus der BGH-Rspr. aufzugreifen – die Schwierigkeit nach Auffassung des OLG "exorbitant" war. Alles in allem, "klebt" der Beschluss m.E. zu sehr an Einzelumständen und lässt den Gesamteindruck, den das Verfahren macht, zu sehr außer Acht.
b) Von Bedeutung ist zudem ein weiterer Punkt. Das OLG verweist in Zusammenhang mit der Bewertung des Aktenumfangs auf seine insoweit geltenden Grundsätze (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 114). So schön, wie es ist, dass das OLG Dresden eines der OLG ist, das solche Grundsätze aufgestellt hat und damit in gewissem Umfang Berechnungsgrundlagen offen gelegt hat. Nur: Was sollen solche Grundsätze, wenn man diese bei Anwendung sogleich selbst relativiert: – "Eine lineare Fortführung der Tabelle könne im Einzelfall angemessen sein, sei aber nicht generell geboten" – und wegen der drei Terrabyte weiterer Daten überhaupt nicht erkennbar ist, welchen Einfluss sie auf die Gewährung, vor allem die Bemessung der Pauschgebühr hatten? Da schreckt man offenbar vor den selbst aufgestellten Grundsätzen zurück, denn: 1 Terrabyte Speicherplatz sind – nach einer Internetrecherche – etwa 6,5 Millionen Dokumentseiten, die als Office-Dateien, PDF-Dateien und Präsentationen gespeichert werden. Noch Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Pauschgebühr?
3. Abschließend
Der abschließende Satz des OLG: "Die in den Besonderheiten des Verfahrens begründete Höhe der Pauschvergütung wird daher kein verallgemeinernder Maßstab für die zukünftige Handhabung des Senats in anderen Fällen sein." ist m.E. zumindest unnötig. Warum muss man schon jetzt darauf hinweisen, dass man demnächst anders entscheiden will/wird. Zu entscheiden war dieses wegen "seiner Komplexität und des Umfangs als eines der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte" anzusehende Verfahren. Und das hat das OLG m.E. wohl – zumindest teilweise – falsch entschieden.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 4/2024, S. 160 - 163