Vorbem. 4 Abs. 2, Nrn. 4108, 4109 VV RVG
Leitsatz
Für das Entstehen der Terminsgebühr ist nicht unbedingt der Aufruf der Sache erforderlich. Ausreichend ist, wenn vom Gericht unmissverständlich kundgetan wird, dass über die Sache verhandeln werden soll.
AG Nürnberg, Beschl. v. 5.2.2024 – 404 Ds 411 Js 54734/23
I. Sachverhalt
Gegen den Angeklagten waren mehrere Strafverfahren anhängig. Mit Verfügung vom 7.6.2023 wurde dann im Verfahren Az 1 der ursprünglich auf den 14.7.2023 bestimmte Termin auf den 11.7.2023 um 9.00 Uhr vorverlegt. Mit Verfügung vom 14.6.2023 wurde im Verfahren Az 2 dann der Termin zur Hauptverhandlung ebenfalls auf den 11.7.2023 um 9.00 Uhr bestimmt.
Im Hauptverhandlungstermin vom 11.7.2023 wurde nach Feststellung der Anwesenheit, Vereidigung eines Dolmetschers und Erhebung der Personalien des Angeklagten durch den Vorsitzenden festgestellt, dass die Anklage vom 5.5.2023 aus dem Verfahren Az 1 mit Eröffnungsbeschl. v. 6.6.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden war. Weiter stellte der Vorsitzende fest, dass im Verfahren Az 2 ein Strafbefehl vom 9.3.2023, zugestellt am 13.3.2023, vorliege und am 21.4.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden war. Sodann verlas die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Anklagesatz und den Strafbefehl. Im Anschluss wurde das Verfahren Az 2 zum führenden Verfahren Az 1 durch Beschluss verbunden.
Nach Beendigung des Verfahrens hat der als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt beantragt, die im Verfahren Az 2 angefallenen Gebühren und Auslagen festzusetzen. Neben der Grundgebühr nach Nr. 4101 VV, der Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV und der Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV beantragte er auch die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 4109 VV. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung der Terminsgebühr abgelehnt, weil diese mangels Aufrufes des Verfahrens Az 2 nicht angefallen sei. Das Verfahren sei im Termin vom 11.7.2023 durch Beschluss zum führenden Verfahren Az 1 verbunden worden, wodurch ebenfalls kein Aufruf erfolgt sei.
Hiergegen wendet sich der Rechtsanwalt mit seiner Erinnerung. Er meint, der unterbliebene Aufruf, der keine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstelle, schade nicht. Zumindest sei von einem konkludenten Aufruf auszugehen. Die Erinnerung hatte Erfolg.
II. Förmlicher Aufruf nicht notwendig
Nach Auffassung des AG war auch die Terminsgebühr Nr. 4109 VV festzusetzen, weil sie mit (zumindest konkludent erfolgtem) Aufruf der Sache auch im Verfahren Az 2 angefallen sei. Unabhängig von der Frage, ob der Aufruf der Sache eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstellt, liege ein solcher hier jedenfalls vor. Zwar enthält das von der Hauptverhandlung unter dem Aktenzeichen Az 1 gefertigte Protokoll lediglich den undifferenzierten Vermerk, dass die Hauptverhandlung mit dem Aufruf zur Sache begonnen habe. Nach Feststellung der Anwesenheit, der Vereidigung des Dolmetschers und Erhebung der Personalien des Angeklagten habe der Vorsitzende festgestellt, dass die Anklage vom 5.5.2023 mit Eröffnungsbeschl. v. 6.6.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden sei. Weiter habe er festgestellt, dass ein Strafbefehl vom 9.3.2023, zugestellt am 13.3.2023, vorliege und am 21.4.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden sei. Sodann habe die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Anklagesatz und den Strafbefehl verlesen. Erst im Anschluss daran sei das Verfahren Az 2 zum führenden Verfahren Az 1 durch Beschluss verbunden worden.
Damit habe der Vorsitzende bereits vor Verbindung der Verfahren unmissverständlich kundgetan, dass er nicht nur über die Anklage im Verfahren Az 1, sondern auch über den Strafbefehl im Verfahren Az 2 verhandeln wolle. Sodann seien sowohl die Anklageschrift als auch der Strafbefehl verlesen worden. Im Zeitpunkt der Verbindung sei damit mit der Verhandlung in beiden Verfahren bereits begonnen worden und die Terminsgebühr bereits angefallen.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist zutreffend. Festzuhalten ist:
1. Anfall der Hauptverhandlungsterminsgebühr
Das RVG regelt in Vorbem. 4 Abs. 3 VV nur das Entstehen der Terminsgebühr. Voraussetzung ist die Teilnahme des Rechtsanwalts an der Hauptverhandlung. Nicht geregelt wird, (ab) wann eine Hauptverhandlung vorliegt, an der der Rechtsanwalt teilnimmt (zur Terminsgebühr Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4 VV Rn 64). Insoweit gilt: Nach § 243 Abs. 1 S. 1 StPO beginnt die Hauptverhandlung i.d.R. mit dem Aufruf der Sache. Es ist aber verfahrensrechtlich unbestritten, dass für den Aufruf der Sache ein "förmlicher" Aufruf nicht erforderlich ist. Unterbleibt ein ausdrücklicher Aufruf, ist als Beginn der Hauptverhandlung die Handlung anzusehen, die als erstes erkennbar macht, dass die Strafsache nun verhandelt werden soll (Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 1948).
Diese Grundsätze werden auch für den Anfall der Terminsgebühr angewendet (OLG Frankfurt AGS 2015, 568 = RVGreport 2015, ...