Willkommen im Land der Abenteuer

In diversen Tageszeitungen war in den letzten Wochen zu lesen, dass der Deutschen Reiselust durch die Weltwirtschaftskrise wohl einen erheblichen Dämpfer erfahren werde. Statt Abenteuerreisen in fremde Länder zu unternehmen, werde man wohl zu Hause bleiben. Im Lande bleiben heißt allerdings nicht, auf Abenteuer zu verzichten. Wer auf dem Gebiete des Gebührenrechts als Rechtsanwalt Abenteuer erleben will, der muss sich nur in das schöne Städtchen Koblenz begeben und vom dortigen OLG gar Seltsames erleiden.

Am 21.4.2009 und nicht etwa am 1.4. dieses Jahres stellte das OLG Koblenz fest, dass die Unbilligkeitsregelung von § 14 RVG auch dann anwendbar sei, wenn der Rechtsanwalt seinem eigenen Mandanten eine zu geringe Gebühr in der Absicht berechnet, dadurch eine höhere Kostenerstattung vom im Rechtsstreit unterlegenen Prozessgegner zu erlangen.

Alsdann hält sich immerhin ein OLG für berechtigt, die bescheiden berechnete Gebühr jenes Rechtsanwalts fiktiv im Verhältnis zum Gegner zu erhöhen, um diesen dann im Endergebnis auf wundersame Weise wirtschaftlich zu entlasten.

Wer jetzt verzweifelt in allen gängigen Kommentaren danach sucht, ob Derartiges schon einmal zu Papier gebracht worden ist, mag sich beruhigen. Auf eine derartige Idee ist bislang weder in Lit. noch in Rspr. jemals jemand gekommen.

Ganz im Gegenteil: In jedem einschlägigen Kommentar ist nachzulesen, dass sich die Frage der Unbilligkeit auf die Prüfung beschränkt, ob die Gebühr unbillig hoch angesetzt wurde, also dem Schuldner nicht mehr zumutbar ist.[1]

Aber auch die Regelung in § 3a RVG (früher ebenso vorzufinden in § 4 RVG a.F. und § 3 BRAGO) zur Vergütungsvereinbarung zeigt, dass selbstverständlich nur unangemessen (und damit unbillig) hohe Gebühren nach Anhörung der Kammer durch ein Gericht herabgesetzt werden können, während das Gesetz eine Heraufsetzung von angeblich unbillig niedrigen Gebühren nicht vorsieht.

Soweit die rein juristische Betrachtung.

Darüber hinaus ist es an Abwegigkeit wohl auch kaum zu überbieten, wenn man einem durch Bezirksrevisoren und Rechtsschutzversicherungen genügend gebeutelten Rechtsanwalt angesichts der Wirtschaftslage im Allgemeinen und der von Rechtsanwälten im Besonderen unterstellt, man berechne zu geringe Gebühren (verzichte also auf Geld), um dem eigenen Mandanten eine Kostenerstattung zu Lasten des Gegners zu ermöglichen.

Die Zeiten, wo man bei Juristen ein besonders ausgeprägtes logisches Denken unterstellen konnte, sind wohl unwiederbringlich dahin.

Wenn es einem Rechtspfleger oder einem Gericht (vgl. Nr. 2 des Ls.) gestattet wäre (wovon natürlich nicht die Rede sein kann), anwaltliche Geschäftsgebühren willkürlich und nach Gutsherrenart "heraufzusetzen", so schuldete der soeben noch schonend vom Rechtsanwalt behandelte Mandant ja plötzlich eine höhere Geschäftsgebühr, die in der Regel dann in diesem erhöhten Umfang auch auf den erstattungspflichtigen Dritten (Verzugsschaden) umzulegen wäre.

Man muss gewisse Dinge einfach nur einmal zu Ende denken.

Es hat in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von gerichtlichen Entscheidungen gegeben, die die Absurdität der BGH-Entscheidung vom 22.1.2008 eindrucksvoll unterstrichen haben; das OLG Koblenz kann für sich in Anspruch nehmen, noch kurz vor der erwarteten Gesetzesänderung allem gewissermaßen noch einmal die Krone aufgesetzt zu haben.

Wer irgendeinen Zweifel daran hatte, dass der Gesetzgeber einschreiten muss, um durch den neuen § 15a RVG die Dinge wieder geradezurücken, der wird durch diesen gebührenrechtlichen Aprilscherz eines Besseren belehrt.

Herbert P. Schons

[1] Vgl. statt aller Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 18. Aufl., § 14 Rn 5.

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