RVG §§ 15 Abs. 2 S. 1, 22 Abs. 1, 32 Abs. 1; GG Art. 3
Leitsatz
In getrennten, die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen betreffenden parallelen Klageverfahren können die Streitgegenstände wegen Art. 3 Abs. 1 GG gebührenrechtlich nicht als dieselbe Angelegenheit i.S.d. §§ 15 Abs. 2 S. 1, 22 Abs. 1 RVG gewertet werden, wenn zugleich die Gerichtskosten in den jeweiligen Klageverfahren nach den jeweils festgesetzten Einzelstreitwerten berechnet werden. Ein sachlicher Grund, entgegen § 32 Abs. 1 RVG einerseits Einzelstreitwerte und andererseits einen Gesamtgegenstandswert zugrunde zu legen, besteht nicht.
OVG Lüneburg, Beschl. v. 5.2.2009 – 9 OA 349/08
1 Sachverhalt
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das VG die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen. Die Festsetzung erfolgte auf der Grundlage der Gesamtsumme aller vom VG jeweils beschlossenen Einzelstreitwerte der insgesamt acht Klageverfahren, in denen es um die Heranziehung der Anlieger zu Erschließungsbeiträgen ging und die Beklagte durch den Prozessbevollmächtigten des vorliegenden Verfahrens vertreten worden ist. In dem Kostenfestsetzungsbeschluss wird – wie in dem angefochtenen Beschluss – die Kürzung damit begründet, dass das Klageverfahren zusammen mit den parallel geführten Klageverfahren dieselbe Angelegenheit bilde, was dazu führe, dass die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal in Ansatz zu bringen seien.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde. Zur Begründung trägt sie vor, dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn, die alle Verfahren erfasse, sei nicht anzunehmen, weil bei der Bearbeitung der verschiedenen Verfahren das Grundstück jedes einzelnen Klägers im Hinblick auf die konkrete örtliche Lage, die Zahlung von Vorausleistungen und die konkrete Betrachtung der Straßenqualität vor dem Grundstück habe in den Blick genommen werden müssen. Es fehle bei den einzelnen Verfahren an dem einheitlichen Zusammenhang, weil sie, die Beklagte, sich mit unterschiedlichen Einwendungen gegen die einzelnen Bescheide habe auseinandersetzen müssen.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
2 Aus den Gründen
Den insgesamt acht durchgeführten Klageverfahren lagen aufgrund der durch den jeweiligen Erschließungsbeitragsbescheid begründeten Rechtsbeziehung zur Beklagten mehrere Gegenstände zugrunde. Mehrere Gegenstände können mehrere Angelegenheiten oder dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG und § 22 Abs. 1 RVG bilden. Nach § 15 Abs. 2 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Gem. § 22 Abs. 1 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, ist jeweils von den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig (BVerwG, Urt. v. 9.5.2000–11 C 1/99, NJW 2000, 2289 = DVBl 2000, 1462 = Buchholz 362 § 7 BRAGO Nr. 1; Nds. OVG, Beschl. v. 27.9.2006–2 OA 915/06, NJW 2007, 395). Die Durchführung mehrerer selbständiger Klageverfahren steht der Annahme derselben Angelegenheit meistens entgegen, weil angenommen wird, dass kein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.5.2000–11 C 1/99, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 27.9.2006–2 OA 915/06, a.a.O.). Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheit in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen (BVerwG, Urt. v. 9.5.2000–11 C 1/99, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.7.2005–15 E 424/05, NVwZ-RR 2006, 437). Letztlich ausschlaggebend für das Vorliegen derselben Angelegenheit ist immer, ob die mehreren Gegenstände von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (BVerwG, Urt. v. 9.5.2000–11 C 1/99, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 27.9.2006–2 OA 915/06, a.a.O.; Nordrhein-Westfälisches OVG, Beschl. v. 27.3.2001–10 E 84/01, BauR 2001, 1402; Hartmann, KostG, 37. Aufl. 2007, § 15 RVG Rn 14 ff.; Gerold/Schmidt/Madert, 18. Aufl., 2008, § 15 RVG Rn 7, 8, 9).
Der Senat neigt zwar dazu, einen einheitlichen Auftrag und Tätigkeitsrahmen sowie einen inneren Zusammenhang zwischen den Verfahren 1 A 104/07, 1 A 106/07, 1 A 113/07, 1 A 114/07, 1 A 115/07 und 1 A 116/07 zu bejahen. Denn nach Eingang bei der Beklagten wurden die Klageschriften in den genannten Verfahren dem Prozessbevollmächtigten – wie vorher mit ihm vereinbart – gesammelt, mithin gleichzeitig zur Bearbeitung überreicht. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten das Mandat hinsichtlich der von der Beklagten gesammelten Klageschriften nicht einzeln und individuell bezogen auf das jeweilige Klageverfahren erteilt worden ist. Den einheitlichen T...