RVG § 15; RVG VV Vorbem. 4
Leitsatz
Wird zu einem Strafverfahren nach dem Aufruf der Sache ein weiteres Verfahren hinzuverbunden, das durch das Gericht zu diesem Zweck erst unmittelbar vor der Verbindung in der Hauptverhandlung eröffnet worden ist, so kann der auch für das hinzuverbundene Verfahren bestellte Pflichtverteidiger keine Terminsgebühr für dieses Verfahren beanspruchen.
OLG Dresden, Beschl. v. 7.10.2008 – 2 Ws 455/08
1 Sachverhalt
Mit Verfügungen vom 13.2.2008 (3 KLs 440 Js 64762/07) und vom 22.2.2008 (3 KLs 440 Js 57577/07) war der Rechtsanwalt dem in Haft befindlichen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.
Im Verfahren 3 KLs 440 Js 57577/07 wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.2.2008 bestimmt. Nach Aufruf der Sache, Feststellung der Erschienenen und der Angaben des Angeklagten zu seiner Person gab der Vorsitzende ausweislich des Protokolls bekannt, dass unter dem Aktenzeichen 3 KLs 440 Js 64762/07 ein weiteres Verfahren gegen den Angeklagten anhängig sei und beabsichtigt werde, das Verfahren hinzuzuverbinden. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stimmte der Verfahrensverbindung zu. Der Rechtsanwalt und die Nebenklägervertreterin gaben keine Erklärung ab. Der Vorsitzende verkündete sodann den Beschluss, dass die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wird, das Verfahren vor der Jugendkammer eröffnet und dem Verfahren 3 KLs 440 Js 57577/07 hinzuverbunden wird.
Das am selben Tag verkündete Urteil wurde sofort rechtskräftig.
Anschließend beantragte der beigeordnete Rechtsanwalt die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung. Dabei machte er auch für das hinzuverbundene Verfahren 440 Js 64762/07 eine Terminsgebühr mit Zuschlag gem. Nr. 4115 VV geltend.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die zu zahlende Vergütung fest, setzte allerdings die Gebühr nach Nr. 4115 VV im Verfahren 440 Js 64762/07 ab. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls sei erst nach Verkündung des Verbindungsbeschlusses hinsichtlich des hinzuverbundenen Verfahrens verhandelt worden.
Der hiergegen eingelegten Erinnerung half der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht ab und legte sie dem LG vor, das sie zurückwies. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Der Verteidiger kann in dem hinzuverbundenen Verfahren keine Terminsgebühr nach Nr. 4115 VV beanspruchen.
Nach in Rspr. und Lit. vertretener Meinung kommt es für die Entstehung einer Terminsgebühr bei Verfahren, die erst in der Hauptverhandlung verbunden werden, darauf an, dass in allen Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden hat (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 18. Aufl., Vorbem. 4 Rn 35; Burhoff, RVG, 2. Aufl., Vorbem. 4 Rn 76 jeweils m. w. Nachw.).
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die hinzuverbundene Sache ist ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht ausdrücklich durch den Vorsitzenden der Strafkammer gem. § 243 Abs. 1 S. 1 StPO aufgerufen worden. Allerdings ist der Aufruf der Sache keine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens. Unterbleibt er, so ist der Beginn der Hauptverhandlung deshalb von dem Zeitpunkt an anzunehmen, in welchem der Vorsitzende kundgibt, die Verhandlung durchführen zu wollen (KK-Tolksdorf, StPO, 5. Aufl. § 243 Rn 10). Dies ist mit der Mitteilung des Vorsitzenden, dass das Gericht eine Hinzuverbindung beabsichtige, noch nicht geschehen.
Zwar haben der Angeklagte und der Verteidiger auf die dispositiven Förmlichkeiten und Fristen gem. §§ 216, 217 StPO verzichtet und damit teilweise die Voraussetzungen für eine Durchführung der Hauptverhandlung in dem hinzuverbundenen Verfahren geschaffen (vgl. Burhoff, Vorbem. 4 Rn 76 m. w. Nachw.); denn der Verteidiger hatte zu der beabsichtigten Verbindung der Verfahren keine Erklärung abgegeben und damit sowie durch sein späteres schlüssiges Verhalten – insbesondere durch Unterlassen des Antrages auf Aussetzung der Verhandlung nach § 217 Abs. 2 StPO – erklärt, dass er auf die Einhaltung der Ladungsfrist gem. § 217 Abs. 3 StPO verzichtet (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 217 Rn 10).
Eine Hauptverhandlung war damit jedoch gleichwohl noch nicht möglich, weil es noch an der Prozessvoraussetzung eines Eröffnungsbeschlusses (§§ 203, 207 StPO) fehlte und der Strafkammer dadurch die Durchführung der Hauptverhandlung verboten war (BGH NJW 1980, 1858).
Unmittelbar nach Verkündung des Eröffnungsbeschlusses sind die Verfahren sodann miteinander verbunden worden, ohne dass zuvor eine Hauptverhandlung in der hinzuverbundenen Sache stattgefunden hat.
Der vorliegende Fall ist deshalb nicht anders zu bewerten, als wenn das Gericht das Hauptverfahren richtigerweise vor Beginn der Hauptverhandlung eröffnet und die Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung miteinander verbunden hätte.