RVG § 15a Abs. 2, 2. Alt.; RVG VV Nrn. 2300, 3100, Vorbem. 3 Abs. 4
Leitsatz
Selbst wenn durch eine allgemeine Erledigungsklausel in einem Prozessvergleich die als Nebenforderung mit eingeklagte Geschäftsgebühr umfasst ist, wird durch eine solche Regelung der Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr nicht tituliert. Vielmehr kann dieser im Verhältnis zwischen den Parteien nicht mehr geltend gemacht werden. Die gesetzliche Regelung setzt jedoch voraus, dass wegen des betreffenden Gebührenanspruches ein Vollstreckungstitel gegen den Dritten besteht. Die Titulierung der Geschäftsgebühr in einem Vergleich erfordert eine unmissverständliche Regelung, der auch die Höhe der titulierten Gebühr zu entnehmen sein muss. Denn nur dann kann die hälftige Anrechnung auf die Verfahrensgebühr betragsmäßig richtig vorgenommen werden.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.3.2010–8 W 132/10
Sachverhalt
Der Kläger hat im Hauptsacheverfahren gegen den Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche in Folge eines Hundebisses geltend gemacht und dabei auch eine vorgerichtliche 2,0-Geschäftsgebühr geltend gemacht. Der Rechtsstreit wurde durch Prozessvergleich beendet. Danach hatte der Beklagte an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 1.000,00 EUR (Nr. 1) und Schmerzensgeld von weiteren 9.000,00 EUR (Nr. 2) zu bezahlen. In Nr. 3 ist die Ersatzpflicht des Beklagten bezüglich künftiger Schäden des Klägers festgestellt worden und in Nr. 4 haben der Kläger 30 % und der Beklagte 70 % der Kosten des Rechtsstreits übernommen.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss wendet sich der Beklagte mit seiner sofortigen Beschwerde insoweit, als auf Klägerseite die Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr unterblieben ist und Letztere deshalb in voller Höhe von 1,3 in Ansatz gebracht wurde. Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Es kann im vorliegenden Fall keine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr stattfinden, da eine Ausnahmekonstellation gem. § 15a Abs. 2 RVG entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gegeben ist. Festsetzungsfähig ist daher die volle Verfahrensgebühr – wie sie vom Klägervertreter geltend gemacht wurde.
Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss, in dem die Anrechnung der Geschäftsgebühr unterblieben ist, hält damit der rechtlichen Nachprüfung stand:
1. Die Anwendung des am 5.8.2009 in Kraft getretenen § 15a RVG bei der Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist nach der Rspr. des Senats (OLG Stuttgart, Senat – rechtskräftig –, AGS 2009, 371; ebenso u.a.: OLG Koblenz AGS 2009, 420; OLG Köln AGS 2009, 512; OLG München, Beschl. v. 13.10.2009–11 W 2244/09; BGH, 2. Zivilsenat, NJW 2009, 3101; BGH, 12. Zivilsenat, AGS 2010, 54) auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" – wie die vorliegenden – auszudehnen.
Danach kommt aber eine Reduzierung der geltend gemachten und von der Rechtspflegerin berücksichtigten 1,3-Verfahrensgebühr infolge Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf 0,65 nicht in Betracht.
Nach § 15a Abs. 1 RVG wirkt sich die Anrechnungsvorschrift grundsätzlich im Verhältnis zu
Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. In diesem musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist (BGH NJW 2009, 3101; BGH AGS 2010, 54).
2. Ein Ausnahmefall des § 15a Abs. 2 RVG ist nicht gegeben. Danach kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
Keine der in § 15a Abs. 2 RVG genannten Ausnahmekonstellationen ist im vorliegenden Fall gegeben.
Von einer Zahlung durch den Beklagten entsprechend Nr. 1 und 2 des Vergleichs kann nicht ausgegangen werden, weil sich die dortigen Regelungen ersichtlich auf die Klaganträge Nr. 1 und 2 (materieller und immaterieller Schaden des Klägers) beziehen, nicht aber auf Nr. 4 (vorgerichtliche Geschäftsgebühr als Verzugsschaden).
Eine Geltendmachung der Geschäfts- und Verfahrensgebühr in demselben Verfahren liegt ebenfalls nicht vor. Denn das Hauptsacheverfahren und das sich daran anschließende Kostenfestsetzungsverfahren sind i.S.d. § 15a Abs. 2, Alt. 3 RVG nicht "dasselbe Verfahren" – vgl. Beschl. d. Senats v. 4.12.2009–8 W 439/09, AGS 2010, 25, m. w. Nachw., auf den im Einzelnen Bezug genommen wird.
Die vorgerichtliche Geschäftsgebühr wurde aber – entgegen der Auffassung des Beklagten, auf die er sein Rechtsmittel stützt – auch nicht im Prozessvergleich tituliert.
Die Zahlungsverpflichtung gem. Nr. 1 bezieht sich offensichtlich nur auf den mit dem Klageantrag Nr. 1 geforderten materiellen Schadensersatz. Nr. 2 und 3 sind unzweifelhaft...