RVG § 14 Abs. 1; SGG § 78 ff.

Leitsatz

  1. Die Schwellengebühr hat die Mittelgebühr nicht ersetzt.
  2. Die billige Gebühr für das Tätigwerden eines Rechtsanwalts im sozialgerichtlichen Vorverfahren wird in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr bestimmt. Sie ist in einem zweiten Schritt in der Höhe des Schwellenwertes zu kappen, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich ist.
  3. Bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist – von Bagatellsachen abgesehen – im Rahmen der Gebührenabwägung von unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen, denen jedoch regelmäßig eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit gegenübersteht.

BSG, Urt. v. 1.7.2009 – B 4 AS 21/09 R

Aus den Gründen

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des beklagten Grundsicherungsträgers gegen das stattgebende Urteil des SG zurückzuweisen. Der Kläger hat, wie vom SG im Ergebnis zutreffend erkannt, Anspruch auf den von ihm bei der Beklagten geltend gemachten Aufwendungserstattungsanspruch.

1. Die Revision ist zulässig. Wird wie vorliegend in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens (vgl. hier §§ 78 ff. SGG) gestritten, handelt es sich nicht um Kosten des Verfahrens i.S.v. § 144 Abs. 4 i.V.m. § 165 S. 1 SGG, bei denen Berufung und Revision nicht statthaft sind (vgl. BSG SozR 3–1500 § 144 Nr. 13 S 30; BSG SozR 4–1300 § 63 Nr. 1 S. 2; BSG, Urt. v. 7.11.2006 – B 1 KR 23/06 R, NZS 2007, 612, 613).

2. Der Kläger verfolgt sein Anliegen zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage; der Erhebung einer Verpflichtungsklage bedurfte es nicht.

a) Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Entscheidung der Beklagten darüber, in welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 SGB X). Die Beklagte hat bindend entschieden, dass dem Kläger die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach erstattet werden (vgl. § 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 SGB X) und die Zuziehung eines Rechtsanwalts i.S.v. § 63 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 SGB X notwendig war. Eine Einschränkung in Bezug auf die Kostengrundentscheidung, namentlich eine Quotelung der Kosten, hat sie dabei nicht vorgenommen. Die Einschränkung, dass die Kosten erstattet werden, "soweit sie notwendig und nachgewiesen sind", bezieht sich insoweit nur auf die Höhe der Aufwendungen.

Eine Konstellation, in welcher es einer Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) bedarf, weil es schon an einer Entscheidung des Rechtsträgers darüber fehlt, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten überhaupt notwendig war (vgl. BSG, Urt. v. 27.1.2009 – B 7/7 a AL 20/07 R), liegt hier nicht vor.

b) Der Einholung eines Gutachtens nach § 14 Abs. 2 RVG bedurfte es nicht. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht im "Rechtsstreit" über die Höhe der Gebühr ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvorschrift handelt. Denn diese Regelung ist nur im Rechtsstreit zwischen Mandant und Rechtsanwalt anwendbar, nicht hingegen im Prozess zwischen dem Gebührenschuldner, hier dem Kläger, und dem Erstattungspflichtigen, hier dem beklagten Grundsicherungsträger (vgl. BSG, Urt. v. 18.1.1990–4 RA 40/89; BSG, Urt. v. 27.1.2009 – B 7/7 a AL 20/07 R; vgl. auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl. 2008, Kap XII Rn 105) Es stellt daher keinen Verfahrensfehler dar, dass das LSG ein derartiges Gutachten nicht eingeholt hat.

3. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X auf der Grundlage einer nach dem RVG zu bestimmenden Geschäftsgebühr.

a) Nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Gebühren und Auslagen i.S.v. § 63 Abs. 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren (BSG SozR 3–1300 § 63 Nr. 7 S. 25 f.). Aufwendungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sind grundsätzlich auch die Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten, hier dem Kläger, in Rechnung stellt. Diese Vergütung bemisst sich seit dem 1.7.2004 nach dem RVG (§ 1 Abs. 1 S. 1 RVG) sowie dem VV der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 S. 1 RVG).

Diese Vorschriften sind im vorliegenden Fall anwendbar, zumal der unbedingte Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit nach Erlass des Bescheides vom 7.12.2004 und damit nach dem 30.6.2004 erteilt worden ist...

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