RVG §§ 14, 42 Abs. 2, 52; StPO § 464b

Die Anwendung des § 42 Abs. 1 S. 1 RVG ist auf seltene Fälle beschränkt, in denen selbst die gesetzlichen Höchstgebühren nicht ausreichen, um die Tätigkeit des Rechtsanwalts für ihn noch zumutbar zu honorieren.

KG, Beschl. v. 2.7.2009–1 Ars 21/09

Sachverhalt

Der Angeklagte war durch Urteil des LG wegen Körperverletzung in zwei Fällen und Nötigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu 15,00 EUR verurteilt und von Vorwürfen der Vergewaltigung in fünf Fällen sowie der gefährlichen Körperverletzung und der Bedrohung in zwei Fällen freigesprochen worden. Im Umfang des Freispruchs wurden seine notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Das Urteil ist rechtskräftig. Der zunächst als Wahlverteidiger tätige Antragsteller war später zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Die ihm dafür aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren wurden auf 1.545,00 EUR (netto) festgesetzt. Sein auf § 42 RVG gestützter Antrag auf Feststellung einer "Pauschgebühr für die Wahlverteidigervergütung" in Höhe von insgesamt 5.965,00 EUR (netto) hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

Zwar kann auch der Pflichtverteidiger einen Antrag nach § 42 RVG stellen, wenn und soweit dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht oder er, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts, zur (ratenweise) Zahlung der Pauschgebühr in der Lage ist (§§ 42 Abs. 2 S. 2, 52 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 RVG). Das setzt aber voraus, dass für den Anwalt infolge des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Strafsache eine Beschränkung auf die in den Teilen 4 bis 6 des VV bestimmten Gebühren eines Wahlanwalts nicht zumutbar ist. Da die Tätigkeit des Wahlverteidigers im Gegensatz zu der des gerichtlich bestellten Rechtsanwalts nicht nach (pauschalen) Festbeträgen, sondern mit Rahmengebühren vergütet wird, können die nach § 14 RVG gebührenerhöhenden Umstände bei der Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr bereits weitgehend innerhalb des Betragsrahmens berücksichtigt werden. Die Anwendung des § 42 Abs. 1 S. 1 RVG ist daher auf seltene Fälle beschränkt (vgl. BGH JB 2007, 531; BGH, Beschl. v. 20.6.2007–5 StR 461/06; AnwK-RVG/N. Schneider, 3. Aufl., Rn 14 zu § 42; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., Rn 8 zu § 42), in denen selbst die gesetzlichen Höchstbeträge nicht ausreichen, um die Tätigkeit des Rechtsanwalts für ihn noch zumutbar zu honorieren. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.

Der insgesamt nur sechs Seiten umfassende konkrete Anklagesatz betraf ausschließlich überschaubar und gleichartig gelagerte Lebenssachverhalte, die keine schwierigen Rechtsfragen aufwarfen und im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit den Angaben der Geschädigten erforderten, die einem erfahrenen Strafverteidiger keine erhebliche Mühe bereiten konnte. Welche besonderen Schwierigkeiten für den Antragsteller, einen Fachanwalt für Strafrecht, in der Bewertung der in dreitägiger Hauptverhandlung erhobenen Zeugenbeweise sowie der den Angeklagten betreffenden Gutachten bestanden haben und die Zuerkennung der – in Höhe der zulässigen Obergrenze (§ 42 Abs. 1 S. 4 RVG) – beantragten Pauschgebühr rechtfertigen sollen, erschließt sich aus seinem Vorbringen nicht. Der Antragsteller führt zwar zu Recht als gebührenerhöhenden Umstand die große Bedeutung der Sache für den Angeklagten an, der im Falle einer Verurteilung wegen der ihm zur Last gelegten Vergewaltigungen mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe und einer möglichen Sicherungsverwahrung hätte rechnen müssen. Das kann aber im Verfahren nach § 464b StPO mit der Festsetzung einer Vergütung im jeweils oberen Bereich der für die Verhandlung vor dem LG ohnehin schon erhöhten Gebührenrahmen (Nrn. 4112, 4114 VV) ausreichend berücksichtigt werden. Die vom Antragsteller geltend gemachten Erschwernisse infolge der Inhaftierung des Angeklagten werden durch die Haftzuschläge (Nrn. 4101, 4103, 4105, 4113, 4115 VV) ausgeglichen. Die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ebenfalls zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten sind unterdurchschnittlich. Nach den Urteilsfeststellungen hat er keinen Beruf erlernt und vor seiner Festnahme mit der Geschädigten und den gemeinsamen Kindern von staatlicher Unterstützung gelebt. Dass sich daran nach der Haftentlassung des Angeklagten etwas geändert hat, trägt der Antragsteller nicht vor.

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