FamFG § 78 Abs. 2
Leitsatz
Einem juristischen Laien ist i.d.R. nicht bekannt, welche Voraussetzungen vorliegen und eingehalten werden müssen, damit eine Vaterschaftsanfechtungsklage Aussicht auf Erfolg hat. Daher ist die Beiordnung eines Anwalts grundsätzlich geboten.
OLG Hamburg, Beschl. v. 2.7.2010 – 12 WF 137/10
1 Sachverhalt
Der Beteiligte zu 4) betreibt die Anfechtung der Vaterschaft zu den Beteiligten zu 1) und 2), welche während der Ehezeit mit der Kindesmutter, der Beteiligten zu 3), geboren sind. Diese hatte dem Beteiligten zu 4) nach der Trennung von ihm in einem Gespräch im Mai 2009 mitgeteilt, während der Empfängniszeit der Kinder ein Verhältnis mit einem anderen Mann, ihrem früheren Arbeitskollegen, gehabt zu haben. Sie zieht die Vaterschaft dieses Mannes in Betracht, aufgrund des Kontaktes mit beiden Männern während der Empfängniszeit. Die Beteiligten sind chilenischer Abstammung, die Kindesmutter ist inzwischen deutsche Staatsangehörige. Das Scheidungsverfahren zwischen den Beteiligten zu 3) und 4) ist anhängig.
Das FamG hat den Beteiligten des Abstammungsverfahrens Verfahrenskostenhilfe bewilligt, aber ihre Anträge auf Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zurückgewiesen. Dagegen hat Beteiligte zu 4) sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hat das FamG, soweit es die Ablehnung der Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 4) betraf, aufrechterhalten.
2 Aus den Gründen
Gem. Art. 111 FGG-ReformG richtet sich die vorliegende Entscheidung nach dem FamFG, weil das Verfahren nach dem 1.9.2009 eingeleitet worden ist.
Nach den somit anwendbaren §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO hat über die Beschwerde die Einzelrichterin zu entscheiden.
Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, und führt auch in der Sache zum Erfolg.
Das vorliegende Abstammungsverfahren gem. § 169 Nr. 4 FamFG unterfällt nicht den in § 112 FamFG abschließend aufgezählten Familienstreitsachen, weshalb nach § 114 Abs. 1 FamFG kein Anwaltszwang besteht.
Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin nicht vorgeschrieben, so ist eine Beiordnung nur vorzunehmen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung erforderlich erscheint, § 78 Abs. 2 FamFG.
Die Frage, ob eine Sach- und Rechtslage schwierig ist, ist nicht aus Sicht des erfahrenen Familienrichters, sondern aus der Perspektive eines juristischen Laien zu entscheiden, der ohne besondere Vorkenntnisse um Rechtsschutz nachsucht und sich unter Umständen nach Trennung oder Scheidung in einer schwierigen Lebensphase befindet (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 580 [= AGS 2010, 83]). Dabei ist die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage auch nicht abstrakt aus Sicht eines fiktiven Beteiligten zu beurteilen, sondern konkret aus der Sicht des antragstellenden Beteiligten (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 23.3.2010 – 10 WF 91/09). Ausschlaggebend ist der konkrete Einzelfall (vgl. BGH FamRZ 2009, 857 [= AGS 2009, 286]; OLG Hamburg, Beschl. v. 28.1.2010 – 12 WF 254/09).
Nach der Rspr. des BVerfG (Kammerbeschl. v. 22.6.2007 – 1 BvR 681/07 – und Kammerbeschl. v. 6.5.2009 – 1 BvR 439/08) ist hinsichtlich der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Umfang und Schwierigkeit der Sache und auch auf die Fähigkeit der Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken, abzustellen. Entscheidend sei, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte.
Diese Grundsätze haben auch im Rahmen von § 78 Abs. 2 FamFG zu gelten. Zwar stellt diese Vorschrift anders als § 121 Abs. 2 ZPO ihrem Wortlaut nach allein auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und nicht auf den Grundsatz der Waffengleichheit oder auf subjektive Kriterien ab. Auch nach der Gesetzesbegründung ist die Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung allein nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen, sie kommt nur unter "engen Voraussetzungen" in Betracht (vgl. BT-Drucks 16/6308 S. 214). Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift unter Beachtung, dass dem aus dem Sozial- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten bei der Gewährung effektiven Rechtsschutzes Genüge getan wird, gebietet es jedoch, der bedürftigen Partei dann einen Anwalt beizuordnen, wenn aus ihrer Sicht die Sach- und Rechtslage so schwierig erscheint, dass eine anwaltliche Beiordnung geboten erscheint (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.5.2010 – 16 WF 65/10). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist dem Beteiligten zu 4) ein Anwalt beizuordnen. Ihm ist nach der Trennung von der Kindesmutter von dieser in einem Gespräch im Mai 2009 eröffnet worden, dass es sich bei den ehelich geborenen Kindern möglicherweise nicht um seine Kinder handelt. Er hat zur Klärung der Abstammungsfrage, an welche sich neben der persönlichen Auswirkung eine Vielzahl wichtiger Rechtsfolgen wie Unterhaltspflicht, Sorge- und Umgangsrecht usw. knüpft, eine Rechtsanwältin eingeschaltet. Einem juristischen ...