ZPO § 116 S. 1 Nr. 2
Leitsatz
Eine als Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Rechtsanwaltssozietät ist eine parteifähige Vereinigung i.S.d. Prozesskostenhilferechts. Die Durchsetzung von Gebührenforderungen rechtsberatender Berufe berührt keine allgemeinen Interessen.
BGH, Beschl. v. 10.2.2011 – IX ZB 145/09
1 Sachverhalt
Die Klägerin ist eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Rechtsanwaltssozietät, deren beide Gesellschafter zugelassene Rechtsanwälte sind. Wegen der Beratung im Zusammenhang mit einem Sicherungs- und Übereignungsvertrag macht die Klägerin eine Vergütungsforderung in Höhe von 14.404,71 EUR gegen die Beklagten gerichtlich geltend. Ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
2 Aus den Gründen
Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg, weil die Unterlassung der Rechtsverfolgung durch die Klägerin keinen allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 S. 1 Nr. 2 ZPO).
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Klägerin als parteifähige Vereinigung setze nach § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO abgesehen von der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit voraus, dass ein Unterlassen der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufe. Im Unterschied zu natürlichen Personen hätten juristische Personen und parteifähige Vereinigungen als künstliche, von der Rechtsordnung aus Zweckmäßigkeitsgründen zugelassene Gebilde zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke keinen Anspruch auf fürsorgerische Hilfe des Staates. Der Gesetzgeber sei deshalb frei, die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe für Gesellschaften abweichend von denen für natürliche Personen zu regeln. Das Unterlassen der Rechtsverfolgung laufe allgemeinen Interessen nur zuwider, wenn die Rechtsverfolgung eine über das Einzelinteresse hinausgehende Bedeutung habe, wenn außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen in Mitleidenschaft gezogen würde oder wenn die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens anspreche und erhebliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen entfalte. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben, zumal nicht einmal vorgetragen sei, dass die Klägerin selbst im Falle der Undurchsetzbarkeit der streitigen Forderung in ihrer Existenz bedroht sei.
Für Klagen auf Zahlung einer Rechtsanwaltsgebührenforderung könnten nicht unter Berufung darauf, dass ein Organ der Rechtspflege tätig werde, die Voraussetzungen des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO angenommen werden. Eine solche Differenzierung zwischen freiberuflichen Gesellschaften und gewerblichen Vereinigungen lasse die Vorschrift nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht zu. Auch bei gemeinnützigen Vereinigungen sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob über das Individualinteresse hinaus ein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung bestehe. Wenn sich Rechtsanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung vereinigten, müssten sie damit rechnen, sich durch die Nutzung der dadurch begründeten wirtschaftlichen Vorteile solcher Privilegien zu begeben, die von Verfassung wegen natürlichen Personen eingeräumt würden.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde statt. Prozesskostenhilfe ist bereits deshalb zu versagen, weil die Unterlassung der Rechtsverfolgung durch die Klägerin keinen allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 S. 1 Nr. 2 ZPO).
a) Die Klägerin ist eine parteifähige Vereinigung i.S.v. § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO.
Diese Vorschrift knüpft die Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen und parteifähige Vereinigungen an besondere rechtliche Voraussetzungen. Zu den parteifähigen Vereinigungen gehören neben der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft (§ 124 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB) insbesondere die nicht rechtsfähigen Vereine (§ 50 Abs. 2 ZPO; vgl. bereits BGH, Urt. v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, WM 2007, 1932 Rn 54 ff.). Infolge der ihr durch die Rspr. zugebilligten Rechtsfähigkeit (BGHZ 146, 341 ff) ist auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet, als parteifähige Vereinigung i.S.d. § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO anzusehen (vgl. OLG Dresden MDR 2008, 818; MüKo-ZPO/Motzer, 3. Aufl., § 116 Rn 20; Zöller/Geimer, ZPO, 27. Aufl., § 116 Rn 11a; Musielak/Fischer, ZPO, 7. Aufl., Rn 11; P/G/Völker/Zempel, ZPO, 2. Aufl., § 116 Rn 16). Als Außengesellschaft bürgerlichen Rechts erweist sich die klagende Rechtsanwaltssozietät somit als parteifähige Vereinigung. Es wäre mit dem eindeutigen Wortlaut des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO nicht zu vereinbaren, Rechtsanwaltssozietäten im Unterschied zu anderen Gesellschaften bürgerlichen Rechts – wie dies die Rechtsbeschwerde fordert – vom Geltungsbereich der Vorschrift freizustellen. Eine solche Recht...