RVG VV Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104; VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 5
Leitsatz
Eine Terminsgebühr bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entsteht in allen Fällen, in denen gegen einen Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft und zulässig ist. Der Gebührentatbestand der Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104 VV ist nicht auf Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt, sondern bezieht sich allgemein auf § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO und damit zunächst auf alle Gerichtsbescheide.
VG Augsburg, Beschl. v. 29.3.2019 – Au 4 M 19.30226
1 Sachverhalt
Der Antragstellerin wurde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten bewilligt. Das Verfahren endete durch Gerichtsbescheid, mit dem die Klage abgewiesen wurde. Ein Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid wurde nicht eingelegt.
Auf Antrag der Bevollmächtigend der Antragstellerin setzte die Urkundsbeamtin die zu zahlende Vergütung fest. Die beantragte 1,2-Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV wurde abgesetzt, da eine fiktive Terminsgebühr nur anfalle, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben sei.
Hierauf beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Entscheidung des Gerichts.
Die Klage sei durch Gerichtsbescheid abgewiesen worden. Der Anwalt hätte gegen den Gerichtsbescheid, anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung, mündliche Verhandlung beantragen können. Die Antragstellerin sei aufgrund der Klageabweisung auch beschwert gewesen. In diesem Fall habe er eine Steuerungswirkung.
Die Urkundsbeamtin hat dem Antrag auf Entscheidung des Gerichts nicht abgeholfen und diesen dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Der gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) ist zulässig (§§ 165, 151 VwGO) und begründet.
Die Urkundsbeamtin hat in ihrem Kostenfestsetzungsbeschluss zu Unrecht die geltend gemachte (fiktive) Terminsgebühr (Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2 VV) nicht als eine der Antragstellerin erwachsene notwendige und zu erstattende Aufwendung festgesetzt.
Nach Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2 VV entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Vorliegend wurde durch einen Gerichtsbescheid entschieden und durch die Antragstellerin als Unterlegene hätte eine mündliche Verhandlung zulässigerweise beantragen können. Soweit die erkennende Kammer in früheren Erinnerungsverfahren anders entschieden hat, wird daran nicht mehr festgehalten.
Nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO können die Beteiligten grds. statt eines Antrags auf Zulassung der Berufung auch mündliche Verhandlung beantragen. Diese bloße Möglichkeit der Beantragung einer mündlichen Verhandlung (neben einem Antrag auf Zulassung der Berufung als Rechtsmittel) ließ nach der Rechtslage vor dem zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz die Geltendmachung und Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr zu, unabhängig davon, ob mündliche Verhandlung zulässigerweise (nur wenn Beschwer gegeben durch vorangegangenen Gerichtsbescheid und fristgerechter Antrag auf mündliche Verhandlung, vgl. VG Regensburg, Beschl. v. 30.3.2015 – RO 9 K 15.50006) überhaupt beantragt werden konnte und wurde und unabhängig davon, ob Antrag auf Zulassung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gestellt wurde.
Soll mit der durch das zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz durch die Formulierung "… und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann …" vorgenommene Ergänzung im Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV eine gesetzgeberische Absicht zum Ausdruck gebracht werden – auch im Sinne einer transparenteren und einfacheren Gestaltung der Kostenregelungen (vgl. BT-Drucks 17/11471, 1) –, die eine klare umsetzbare inhaltliche Veränderung gegenüber dem alten Rechtszustand herbeiführen soll, so kann diese nur darin gesehen werden, dass die fiktive Terminsgebühr nunmehr dann anfallen soll, wenn ein solcher Antrag auch zulässigerweise gestellt werden kann, insbesondere die erforderliche Beschwer vorliegt.
Der Gesetzgeber hat diese Absicht der Einschränkung der fiktiven Terminsgebühr in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/11471, 275) entsprechend zum Ausdruck gebracht:
"Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist."
Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll daher auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Verhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann.
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV gilt dabei nicht nur für die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (im Ergebnis ebenso: VG Karlsruhe, Beschl. v. 29.11.2018 – A 12 K 16238/17; VG Würzburg, Beschl. v. 5.11.2018 – W 3 M 18.31764; VG Oldenburg, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 E 5687717).
Für das Entstehen einer Terminsgebühr gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV kommt es allein darau...