Nach der Anm. zu Nr. 3305 VV wird die durch den Bevollmächtigten des Antragstellers im Mahnverfahren verdiente 1,0-Verfahrensgebühr auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits angerechnet. Das gilt nach Anm. zu Nr. 3307 VV auch für die Verfahrensgebühr des Vertreters des Antragsgegners im Mahnverfahren. Es handelt sich um echte und § 15a RVG unterfallende Anrechnungen von Gebühren.
Die Anrechnung ist aber nur vorzunehmen, wenn die gebührenrechtlichen Voraussetzungen für eine Anrechnung vorliegen:
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Sachlicher Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: Sind der Gegenstand der außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigkeit ganz oder teilweise identisch? |
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Personeller Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: Ist außergerichtlich und gerichtlich derselbe Rechtsanwalt tätig geworden? |
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Zeitlicher Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung. |
Wird der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist, beauftragt, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden, erhält er gem. § 15 Abs. 5 S. 1 RVG nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Ist der frühere Auftrag aber seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, entfallen gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG in diesem Gesetz bestimmte Anrechnungen von Gebühren.
§ 15 Abs. 5 S. 1, 2 RVG setzt dem Wortlaut nach voraus, dass der Anwalt in derselben Angelegenheit tätig ist. Das Mahnverfahren und das sich anschließende Prozessverfahren sind aber gem. § 17 Nr. 2 RVG verschiedene Angelegenheiten. Wenn aber schon in derselben Angelegenheit Gebührenanrechnungen entfallen, muss das erst recht gelten, wenn der Rechtsanwalt in zwei verschiedenen Angelegenheiten tätig ist, in denen wegen §§ 15 Abs. 2, 17 Nr. 2 RVG die Verfahrensgebühren gesondert anfallen. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist daher jedenfalls in diesen Fällen entsprechend anwendbar, weil sich der Rechtsanwalt auch hier wegen des Zeitablaufs in die neue Sache einarbeiten muss. Es wäre auch unbillig, wenn der Rechtsanwalt für seine weitere Tätigkeit nicht erneut Gebühren verdienen würde.
Das AG Grünstadt hat den zeitlichen Zusammenhang i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG und damit die Anrechnung der Verfahrensgebühr Nr. 3307 VV verneint, weil zwischen Erhebung des Widerspruchs und Abgabe der Sache an das Gericht des streitigen Verfahrens mehr als zwei Kalenderjahre lagen. In dem entschiedenen Fall war die Berechnung der Frist unproblematisch. Die Verfahrensgebühr Nr. 3307 VV hat der Antragsgegner-Vertreter bereits mit der Beauftragung mit der Widerspruchseinlegung im Jahr 2013 verdient. Weil der Vertreter des Antragstellers keinen Antrag auf Abgabe in das streitige Verfahren gestellt hatte, endete das Mahnverfahren gebührenrechtlich mit der Beauftragung zu Stellung des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens, der dem Antragsgegner-Vertreter im Juni 2018 erteilt worden ist. Zwischen der Erledigung des Auftrags für die Vertretung im Mahnverfahren und der Fortsetzung der Tätigkeit im Mahnverfahren müssen nun mehr als zwei Kalenderjahre liegen.
Der Begriff der Erledigung in § 15 Abs. 5 S. 2 RVG hat keine andere Bedeutung hat als in § 8 Abs. 1 S. 1 RVG. Die in § 8 Abs. 1 S. 2 RVG genannten Fälle, in denen die Vergütung des Rechtsanwalts auch fällig wird, ohne dass sein Auftrag erledigt wäre, stellen keine Erledigung i.S.d. des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG dar. Das Ruhen des Verfahrens reicht daher nicht aus, um eine Erledigung des Auftrags anzunehmen.
Mit der Frage, ob der Auftrag für das Mahnverfahren erledigt war, hat sich das AG Grünstadt in seiner Entscheidung nicht explizit beschäftigt. Die Frage der Erledigung des Auftrags i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 1, 2 RVG ist dabei von der Fragestellung zu unterscheiden, wann das Mahnverfahren endet. Das Mahnverfahren endet nicht mit der Widerspruchseinlegung, sondern insbesondere mit der Stellung des Antrags auf Abgabe an das Prozessgericht. Wenn der Antragsgegner-Vertreter daher mit der Vertretung im Mahnverfahren und dort insbesondere mit der Widerspruchseinlegung beauftragt war, stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt dieser Auftrag erledigt war. Für den Begriff der Auftragserledigung kann auf die Definition der Erledigung in § 8 Abs. 1 S. 1 RVG zurückgegriffen werden. Die Regelungen zur Fälligkeit in § 8 Abs. 1 RVG spielen hierbei keine Rolle. Der Auftrag ist erledigt, wenn der Rechtsanwalt seinen Verpflichtungen aus dem Anwaltsdienstvertrag nachgekommen ist. Wenn der Rechtsanwalt daher mit der Widerspruchseinlegung beauftragt war, ist der Auftrag mit dessen Einlegung erledigt. Im Juni 2018 ist deshalb keine Gebührenanrechnung mehr vorzunehmen.
Joachim Volpert
AGS 5/2019, S. 3 - 210