SGB X § 63; BGB §§ 196 ff.
Leitsatz
Eine kostenerstattungsberechtigte Partei ist nicht verpflichtet, sich gegenüber ihrem Rechtsanwalt auf die Einrede der Verjährung zu berufen, um dadurch den Kostenerstattungsschuldner zu entlasten.
BSG, Urt. v. 12.12.2019 – B 14 AS 46/18 R
1 Sachverhalt
Umstritten ist die Übernahme von Vorverfahrenskosten.
Nach einem für die Kläger im Jahr 2009 erfolgreich abgeschlossenen Vorverfahren zur Höhe der Leistungen für Juli 2008 verpflichtete sich das beklagte Jobcenter mit Bescheid v. 9.4.2009, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens einschließlich der Gebühren und Auslagen ihres Bevollmächtigten zu erstatten. Den Ende 2013 gestellten Antrag auf Festsetzung von Rechtsanwaltskosten i.H.v. 480,76 EUR lehnte es ab, weil die Kläger ihrem Rechtsanwalt gegenüber die Verjährungseinrede erheben könnten.
Im Klageverfahren hat der Bevollmächtigte erklärt, er sei bei einer positiven Kostenentscheidung auf die Behörde zugegangen und habe ansonsten Beratungshilfe beantragt; von der Familie fordere er nichts. Das SG hat die Klage abgewiesen, die zugelassene Berufung hat das LSG mit der Begründung zurückgewiesen, zwar stehe die – im Berufungsverfahren erhobene – Verjährungseinrede des Beklagten einem Freistellungsanspruch der Kläger nicht entgegen; jedoch könne der Bevollmächtigte nach der Vergütungsabrede von den Klägern kein Honorar fordern, von dem sie freizustellen seien. Jedenfalls müssten sie sich darauf verweisen lassen, im Verhältnis zu ihm die Verjährungseinrede zu erheben.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X. Mit Beauftragung ihres Bevollmächtigten seien sie einem wirksamen Gebührenanspruch ausgesetzt gewesen. Die Verjährungseinrede nicht zu erheben, sei nicht rechtsmissbräuchlich.
Nach Abschluss eines Teilvergleichs zur Höhe des Gebührenanspruchs beantragen die Kläger, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids zu verurteilen, ihnen die Gebühren ihres Rechtsanwalts dem Grunde nach zu erstatten.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
2 Aus den Gründen
Die Revision der Kläger ist begründet (§ 170 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht machen sie geltend, dass sie einem wirksamen Vergütungsanspruch ausgesetzt und zur Erhebung der Verjährungseinrede nicht gehalten sind.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids, durch den der Beklagte es sinngemäß abgelehnt hat, die Kläger auf der Grundlage des Kostengrundbescheids v. 9.4.2009 von Anwaltsgebühren i.H.v. 480,76 EUR freizustellen. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist dagegen die Kostengrundentscheidung des Beklagten v. 9.4.2009.
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig, nachdem das SG sie in seinem Urteil zugelassen hat (vgl. § 144 SGG). Der Streit um die Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff. SGG) betrifft auch keine Kosten des Verfahrens i.S.v. § 144 Abs. 4 i.V.m. § 165 S. 1 SGG, bei denen Berufung und Revision nicht statthaft sind (vgl. BSG v. 9.3.2016 – B 14 AS 5/15 R, BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr. 24, Rn 11). Schließlich stellt es keinen Verfahrensfehler dar, dass das LSG kein Gutachten nach § 14 Abs. 2 RVG eingeholt hat (vgl. BSG v. 1.7.2009 – B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr. 2, Rn 13). Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), im Revisionsverfahren zulässig beschränkt auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. letztens BSG v. 8.5.2019 – B 14 AS 20/18 R – vorgesehen für BSGE und SozR 4, Rn 8) zur Frage, ob die Kläger dem Grunde nach von den Kosten ihrer Vertretung im Widerspruchsverfahren zur Höhe der Leistungen für Juli 2008 freizustellen sind.
3. Rechtsgrundlage des streitbefangenen Freistellungsanspruchs ist § 63 SGB X.
a) Nach § 63 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist (Abs. 1 S. 1). Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten – wie hier durch den Kostengrundbescheid festgestellt – notwendig war (Abs. 2).
b) Ist die Gebührenforderung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren – wie nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG hier – noch nicht beglichen, zielt der Anspruch nach § 63 SGB X auf "Erstattung" der notwendigen Aufwendungen darauf, von der Gebührenforderung nach Maßgabe von § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X befreit zu werden (so bereits BSG v. 2.12.2014 – B 14 AS 60/13 R, SozR 4-1300 § 63 Nr. 22 Rn 14 [= AGS 2015, 356]; ebenso etwa LSG Rheinl...