§ 50 RVG
Leitsatz
Hat das Gericht im Ausgangsverfahren den Verfahrenswert offenkundig falsch und damit überhöht festgesetzt, ist die Landeskasse nicht verpflichtet, die sich aus dem überhöhten Wert ergebende Wahlanwaltsvergütung im Wege der Ratenzahlung von dem bedürftigen Beteiligten einzufordern.
OLG Celle, Beschl. v. 29.12.2020 – 10 WF 168/20
I. Sachverhalt
Der Antragstellerin war im zugrunde liegenden Verfahren VKH ohne Raten bewilligt worden. Nach Abschluss eines Vergleichs hat das FamG den Verfahrenswert auf 18.420,00 EUR und den Mehrwert des Vergleichs auf 350.000,00 EUR festgesetzt. Diese Wertfestsetzung ist zwischenzeitlich rechtskräftig. Nachdem der Antragstellerin aus der Veräußerung einer Immobilie Geld zugeflossen ist, hat das Gericht gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 120a ZPO nach Anhörung der Antragstellerin eine Ratenzahlung in Höhe der weitergehenden Wahlanwaltsvergütung aus den festgesetzten Werten angeordnet. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der das OLG überwiegend stattgegeben hat.
II. Ratenzahlung nur nach berechtigtem Wert
Dem Grunde nach ist die Anordnung der Ratenzahlung berechtigt, da der Antragstellerin nachträglich Vermögen zugeflossen ist, das für die Prozessführung einzusetzen ist.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Mehrwert des Vergleichs im zugrundeliegenden Verfahren offenkundig falsch festgesetzt worden ist. Zwar ist diese Festsetzung rechtskräftig, sodass an sich die daraus folgende weitere Wahlanwaltsvergütung ratenweise von der Landeskasse einzuziehen wäre. Hier liegt jedoch ein Ausnahmefall vor, in dem die Landeskasse von der Einziehung absehen kann. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Verfahrenswert im zugrundeliegenden Verfahren offenkundig falsch festgesetzt worden ist, sodass dem Anwalt tatsächlich nicht die geltend gemachte Vergütung zusteht. Vielmehr hätte das FamG den Mehrwert des Vergleichs lediglich auf 41.420,00 EUR festsetzen dürfen. Dieser Fehler ist nunmehr dadurch zu korrigieren, dass nur in Höhe der sich danach berechnenden Vergütung die Raten bei der Antragstellerin einzuziehen sind.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Nun ist es amtlich: Deutsche Familienrichter sind oftmals nicht in der Lage, zutreffende Verfahrenswertfestsetzungen zu treffen. Sie setzen sogar "offenkundig" falsche Werte fest, also so falsch, dass dies an sich jedem auffallen müsste. Sonst wären sie ja nicht offensichtlich.
Es fragt sich dann aber unweigerlich, warum das im zugrunde liegenden Fall dann niemandem aufgefallen ist. Insbesondere fragt es sich, warum die offenkundige Unrichtigkeit nicht auch der Landeskasse aufgefallen ist. Diese hat immerhin im Wertfestsetzungsverfahren ein eigenes Beschwerderecht und hätte Beschwerde einlegen können.
2. Als nächstes fragt sich, wer denn eigentlich beurteilt, ob eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt und damit von der Einziehung der Raten abzusehen ist. Soll dies etwa dem Urkundsbeamten im Verfahren nach § 50 RVG übertragen werden? Sind Urkundsbeamte also schlauer als Richter?
3. Für eine solche Auslegung, wie sie das OLG Celle hier vorgenommen hat und die letztlich nichts anderes ist als die Durchbrechung der Rechtskraft, besteht auch überhaupt kein Anlass. Die Antragstellerin hätte gegen die möglicherweise zu hohe Verfahrenswertfestsetzung Beschwerde nach § 59 FamGKG einlegen können. Hierzu war sie aus eigenem Recht berufen.
Die Landeskasse spielt sich hier als Interessenvertreter der bedürftigen Antragstellerin auf, obwohl hierzu überhaupt kein Anlass besteht. Der Antragstellerin steht nämlich, wenn die Wertfestsetzung offenkundig falsch war, ein Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt aus dem Anwaltsvertrag zu, wenn dieser sie nicht darauf hingewiesen und über die Möglichkeit der Beschwerde aufgeklärt hat (s. OLG Hamm AGS 2012, 439 = BRAK-Mitt 2011, 196 = RVGreport 2011, 478). An dieser Stelle ist zu entscheiden, ob dem Anwalt die möglicherweise überhöhte Vergütung zusteht oder nicht. Darüber hat aber ein Erkenntnisgericht zu entscheiden und nicht der Urkundsbeamte. Abgesehen davon ergibt sich hier aus dem Sachverhalt nicht, ob die Antragstellerin nicht doch vom Anwalt auf die möglicherweise unzutreffende Wertfestsetzung hingewiesen worden ist und sie bewusst von einer Beschwerde abgesehen hat.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 5/2021, S. 212 - 213