§ 63 Abs. 1 und 2 SGB X; § 34 RVG
Leitsatz
Lässt sich der Widerspruchsführer im Widerspruchsverfahren nicht anwaltlich vertreten, sondern lediglich beraten, sind die durch die Beratung entstandenen Anwaltskosten bis zur Höhe der fiktiven Vertretungskosten erstattungsfähig.
LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 19.2.2021 – L 3 AL 18/18
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte Kurzarbeitergeld beantragt. Die Behörde hatte diesen Antrag abgelehnt. Dagegen hat der Kläger Widerspruch erhoben, der erfolgreich war. Vor Erhebung des Widerspruchs hatte sich der Kläger anwaltlich über die Rechtswidrigkeit des ablehnenden Bescheids und die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, anwaltlich beraten lassen. Hierfür hat der Kläger an seinen Anwalt eine Vergütung i.H.v. 175,00 EUR nebst Auslagen und Umsatzsteuer gezahlt. Nach erfolgreichem Abschluss des Widerspruchsverfahrens meldete der Kläger die ihm entstandenen anwaltlichen Beratungskosten zur Erstattung an. Die Behörde hat die Erstattung der Anwaltskosten abgelehnt. Dabei hat sich die Behörde auf § 63 Abs. 2 SGB X berufen, wonach nur die Kosten eines im Verfahren förmlich beauftragten Rechtsanwalts erstattet werden könnten. Gegen den ablehnenden Bescheid hat der Kläger Widerspruch erhoben, der zurückgewiesen wurde. Das SG hat auf die Klage hin die Behörde verurteilt, dem Kläger die anwaltlichen Beratungskosten zu erstatten. Die hiergegen von der Behörde erhobene Berufung, die das SG zugelassen hatte, hatte keinen Erfolg.
II. SG bejaht Erstattungsfähigkeit
Zutreffend ist, dass die Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 SGB X hier nicht vorliegen, da der beauftragte Rechtsanwalt nicht förmlich im Verfahren bestellt war, was § 63 Abs. 2 SGB X allerdings voraussetzt. Der Kostenerstattungsanspruch ergibt sich hier aber aus § 63 Abs. 1 SGB X. Danach sind nämlich die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Einen Ausschluss externer Beratungskosten von der Erstattung enthält diese Regelung nicht. Es besteht auch kein Spezialverhältnis zwischen § 63 Abs. 2 und Abs. 1 SGB X. Vielmehr ordnet § 63 Abs. 2 SGB X unwiderleglich an, dass die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig sind, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Diese Vorschrift schließt aber nicht andere Kosten aus. Diese sind vielmehr unter den Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Insoweit ist allerdings eine Notwendigkeitsprüfung hinsichtlich Grund und Höhe durchzuführen. Im zugrundeliegenden Fall war die Hinzuziehung eines Anwalts notwendig. So hat die Behörde ja auch erklärt, dass sie bei förmlicher Beteiligung eines Verfahrensbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren dessen Kosten erstattet hätte. Die dem Verfahren zugrunde liegende Rechtsfrage war hier auch schwierig, sodass sich der Kläger als juristischer Laie durchaus rechtlichen Rat einholen durfte. Die von ihm angemeldeten Kosten liegen auch nicht höher als die Kosten eines Anwalts, der förmlich im Verfahren bestellt worden wäre, sodass insoweit auch kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt. Der Erstattung der Beratungskosten steht auch nicht entgegen, dass die Beratung vor Einlegung des Widerspruchs durchgeführt worden ist. Es gibt keinen Grundsatz, dass die Kosten erst nach Einlegung des Widerspruchs entstanden sein müssen. I.Ü. verhält es sich beim förmlich beauftragten Verfahrensbevollmächtigten auch nicht anders. Dessen wesentliche Arbeit liegt in der Regel auch in der Vorbereitung vor Einlegung des Widerspruchs.
III. Bedeutung für die Praxis
Erstattung von Beratungskosten ist umstritten
In der Praxis ist umstritten, ob eine Partei, die erfolgreich einen Rechtsstreit oder ein Verwaltungsverfahren zwar selbst geführt, sich dabei aber hat anwaltlich beraten lassen, die Kosten der Beratung erstattet verlangen kann. Häufig werden die Kosten einer Beratung abgelehnt (so OLG Celle AGS 2014, 150 = NJW-RR 2014, 952; LG Essen AGS 2016, 592). Dabei wird übersehen, dass eine Partei, die sich nur anwaltlich beraten, aber nicht vertreten lässt, in aller Regel geringere Kosten auslöst als eine Partei, die sich vertreten lässt. Wenn aber die höheren Kosten einer Vertretung erstattungsfähig wären, dann müssen auch die geringeren Kosten einer Beratung erstattungsfähig sein (so KG JurBüro 1989, 1114; LG Berlin AGS 2008, 515; Rpfleger 1982, 234).
Es bleibt daher zu hoffen, dass die zum Teil verfehlte gegenteilige Rspr. der Zivilgerichtsbarkeit sich die Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein zu Herzen nimmt und ihre Rspr. überdenkt. Das gleiche Problem stellt sich auch in einem Rechtsmittelverfahren. Hatte sich der Rechtsmittelgegner im Rechtsmittelverfahren zunächst nur beraten lassen und nicht schon vertreten lassen, sind diese Kosten bis zur Höhe der fiktiven Vertretungskosten zu erstatten (OLG Karlsruhe AGS 2001, 287 = JurBüro 2001, 473).
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 5/2021, S. 218