§ 1 Abs. 3 BerHG
Leitsatz
- Beratungshilfe soll nur dann in Anspruch genommen werden, wenn ein bemittelter Rechtsuchender in gleicher Weise um Rechtsrat nachsuchen würde.
- Die Inanspruchnahme der Beratungshilfe für eine standardisierte, nicht dem Anlass genügend konkretisierte Unterstützung mittels Autotexten ist unzulässig.
AG Pankow-Weißensee, Beschl. v. 16.12.2021 – 70a II 801/21
I. Sachverhalt
Ein Rechtsuchender begehrte die Beratungshilfe für die Angelegenheit "Widerspruch gegen den Bescheid des JobCenters vom 13.10.2021". Anlass des Anliegens war, dass der Bescheid Fehler enthalten solle und Kosten der Unterkunft und Heizung zu Unrecht nicht übernommen wurden. Hierzu wendet sich der Rechtsuchende mit seinem Anliegen unmittelbar an einen Rechtsanwalt, welcher ihm die gewünschte Unterstützung lieferte, die Beratungshilfe sodann nachträglich i.S.v. § 6 Abs. 2 BerHG zur Bewilligung (form- und fristgerecht) beantragt wurde. Mit gerichtlicher Verfügung vom 16.11.2021 ist dem Verfahrensbevollmächtigten mitgeteilt worden, dass für ein Verfahren aufgrund nachträglicher Beratungshilfe kein Beratungshilfeschein mehr erteilt werde. Zeitgleich tat das Gericht seine Zurückweisungsabsicht kund. Letztere basierte auf einer Annahme der Mutwilligkeit. Diese solle sich daraus ergeben, dass die Beratungsperson in ihrem Schreiben unkonkret und offensichtlich nicht anlassbezogen mittels vorformulierten Standardautotexten agiert habe. Ein selbstzahlender Bürger würde insoweit vergleichsweise nicht auf eine kostenpflichtige Beratung setzen, wenn Indizien für eine fehlende konkrete Vorgehensweise zugunsten von Masseanträgen bestehen. Mit Entscheidung vom 16.12.2021 wurde sodann der nachträgliche Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe zurückgewiesen.
II. Keine Erteilung eines Berechtigungsscheines
Gem. §§ 4 Abs. 6, 6 Abs. 2 BerHG ist – anstelle der persönlichen Antragstellung bei Gericht – der Direktzugang zur Beratungsperson möglich. Ist – wie im vorliegenden Sachverhalt – die Beratung allerdings innerhalb der 4-Wochen-Frist abgeschlossen, bedarf es keines nachträglichen Berechtigungsscheines mehr.
III. Mutwillen bei standardisierten Vorgehen wegen Selbstzahlervergleich
Nach Ansicht des AG Pankow-Weißensee sei die Beratungshilfe dann als mutwillig zu erachten, wenn sie wenig konkret, sondern "quasi automatisiert" mittels vorformulierten Texten, die einen Bezug zum individuellen Sachverhalt vermissen lassen, erfolgt. Hier ist auf den sog. "Selbstzahlervergleich" abzustellen. Ergebe eine Prüfung, dass ein bemittelter Rechtssuchender von seinem Recht nicht in gleicher Weise Gebrauch machen würde und keinen Rechtsanwalt hinzuziehen würde, weil er kein Interesse an einer pauschalisierten, unkonkreten Beratung/Vertretung habe, so sei dies auch ein Ausschlussgrund für die Beratungshilfe. Ein bemittelter Rechtsuchender habe gerade kein Interesse an Massenanträgen hat, welche am Ende seine Interessen gar nicht wahren und für die er kostenrechtlich aufkommen müsse.
IV. Beratungshilfe ist subsidiär – die Mittel sind sorgsam einzusetzen
Beratungshilfe ist Ausfluss aus dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates und wurde eingeführt, um zu anderen Hilfsmöglichkeiten hinzuzutreten und dort wirksam zu werden, wo andere Hilfe fehlt, und vor allem Chancengleichheit bei der Rechtsdurchsetzung zu schaffen, und zwar für Menschen, welche finanziell minderbemittelt sind. In diesem Kontext solle auf einen sorgsamen Umgang der Staatsmittel geachtet werden. Standardisierte Verfahren, die eine Individualisierung vermissen lassen, gehörten nicht zu diesem sorgsamen Umgang.
V. Keine Besserstellung der bedürftigen Partei
Beratungshilfe sorge für Gleichberechtigung des unbemittelten Bürgers mit dem bemittelten, der seine Rechte abwägt und gewissenhaft verfolgt. Nur so kann es möglich werden, den gem. Art. 3 GG festgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz zu wahren. Jedoch diene Beratungshilfe genau nicht dazu, eine Eigenarbeit von Verfahrensbevollmächtigten zu ersparen oder sogar eine Besserstellung bedürftiger Antragsteller zu bewirken. Insoweit läge auch gerade keine Gleichstellung, sondern eine nicht gewollte Besserstellung durch das BerHG vor.
VI. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des AG Pankow-Weissensee beinhaltet gleich mehrere bedeutende Punkte. Vorliegend sollen jedoch nur die wesentlichen besprochen werden.
1. Nachträgliche Antragstellung
Gem. §§ 4 Abs. 6, 6 Abs. 2 BerHG ist – anstelle der persönlichen Antragstellung bei Gericht – der Direktzugang zur Beratungsperson möglich. Insoweit eröffnet das BerHG in Abweichung des "Regelfalls" (vorherige Konsultation des Gerichts) auch in dringenden Fällen die Möglichkeit, sich unmittelbar rechtskundigen Rat zu besorgen, vielleicht, weil es eilt, vielleicht, weil eine vorherige Konsultation des Gerichts nicht möglich war. Der Gesetzgeber hat insoweit jedoch zum 1.1.2014 eine Frist von 4 Wochen geschaffen, innerhalb derer solche "Direktkonsultationen" der Beratungsperson nachträglich bei Gericht beantragt werden müssen. In allen Fällen der nachträglichen Antragstellung ist diese 4-Wochen-Frist des § 6 Abs. 2 BerHG daher zu beachten, wobei diese Frist mit der Beratungshilfetätigkeit durch die Beratungsperson zu laufen beginnt, was zeitlich mit der Übernahme des Mandats durch die Beratungsperson zusammenfällt...