§ 3a RVG; § 49b Abs. 5 BRAO; § 280 BGB
Leitsatz
- Der Rechtsanwalt schuldet seinem Auftraggeber grundsätzlich keinen Hinweis auf die Höhe der bisher entstandenen oder noch entstehenden Gebühren. Er muss nur auf Verlangen des Auftraggebers die voraussichtliche Höhe seines Entgelts mitteilen.
- Aus besonderen Umständen des Einzelfalles kann sich aber nach Treu und Glauben eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, den Mandanten auch ungefragt über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Maßgeblich dafür ist, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalls ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage, ob bei einer vereinbarten Vergütung ein für Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, auch der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, besondere und Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, angemessen sein.
OLG München, Urt. v. 2.2.2022 – 15 U 2738/21 Rae
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte einen Fachanwalt für Arbeitsrecht Ende 2019 mit der gerichtlichen Vertretung in einem Kündigungsschutzprozess beauftragt. Zwischen dem Kläger und dem jetzt beklagten Rechtsanwalt wurde am 4.12.2019 rückwirkend zum Vertragsbeginn am 25.11.2019 eine Vergütungsvereinbarung getroffen, die für den Rechtsanwalt ein Stundenhonorar von 340,00 EUR netto, mindestens aber das gesetzliche Honorar vorsah. Die Vereinbarung enthielt zudem eine sog. "Nachverhandlungsklausel" für ein Pauschalhonorar. Das sollte sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen, wobei eine Abfindung dem Gegenstandswert hinzuzurechnen sein sollte.
Der Kündigungsschutzprozesse endete mit einem Vergleich, der u.a. eine Abfindungszahlung von 60.000,00 EUR brutto vorsah. Kurze Zeit nach dem Vergleich unterzeichneten die Parteien in der Kanzlei des Rechtsanwalts am 28.1.2020 eine weitere Vergütungsvereinbarung, welche die erste Vereinbarung ersetzte und ein Pauschalhonorar von 12.000,00 EUR brutto vorsah. Der Rechtsanwalt hat mit der Rechtsschutzversicherung des Klägers die gesetzliche Vergütung von 3.305,82 EUR abgerechnet und verrechnete die vom Arbeitgeber auf sein Anderkonto bezahlte Abfindungsleistung mit seinem restlichen Vergütungsanspruch aus dem Pauschalhonorar.
Der klagende Mandant verlangt Zahlung der verrechneten Abfindung; es hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers infolge der Verletzung einer vertraglichen Aufklärungspflicht bejaht. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg. Mit der vom LG gegebenen Begründung lässt sich – so das OLG – ein Schadensersatzanspruch des Klägers infolge der Verletzung einer vertraglichen Aufklärungspflicht jedenfalls im hier vorliegenden Einzelfall nicht begründen. Dies bedeute indes nicht, dass die Vorgehensweise des Beklagten nicht in anderen Fallkonstellationen einer Sanktionierung unterliegen könne.
II. Inhalt der Vergütungsvereinbarung
Inhaltlich sei die (zweite) Vergütungsvereinbarung vom 28.1.2020, die hier zugrunde zu legen sei, nicht zu beanstanden. Eine Herabsetzung der Vergütung nach § 3a Abs. 2 S. 1 RVG komme – ungeachtet der Verpflichtung zur Erholung eines Gutachtens der zuständigen Rechtsanwaltskammer – nicht in Betracht. Auch eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB sei nicht gegeben.
1. Unangemessenheit/Sittenwidrigkeit
Die Regelung des § 3a Abs. 1 RVG solle den Auftraggeber vor einer unüberlegten, leichtfertigen oder unbewussten Eingehung von solchen Zahlungspflichten schützen, die ihm und darüber hinaus dem Ansehen der Rechtspflege schaden könnten (Toussaint/Toussaint, 51. Aufl., 2021, § 3a RVG Rn 17). Eine höhere als die gesetzliche Vergütung einschließlich Auslagen sei hierbei allerdings keineswegs sittenwidrig. Eine zwischen den Parteien eines Anwaltsvertrags vereinbarte Vergütung müsse vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben unangemessen hoch sein (BGH NJW 2010, 1364 = AGS 2010, 267). Maßgeblich sei weder die Sicht des Auftraggebers noch diejenige des Anwalts, es gelte ein möglichst objektiver Maßstab. Die gesetzliche Vergütung sei hierbei zwar ein Indiz für die Unangemessenheit, trage den vorgenannten Umständen aber als eine Pauschgebühr oft nicht in ausreichendem Maße Rechnung (Toussaint/Toussaint, a.a.O., § 3a RVG Rn 42). Ausgangspunkt für die gesetzlichen Gebühren im vorliegenden Fall sei die soziale Schutzvorschrift des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG. Danach bemesse sich der Streitwert in arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozessen nach maximal dem Dreifachen eines Bruttomonatsgehalts, hier unstreitig 3.305,00 EUR.
Das hier in der zweiten Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vereinbarte Honorar i.H.v. 12.000,00 EUR brutto stelle mithin das 3,6-fache der gesetzlichen Gebühren des Beklagten dar. Ein auffälliges Missverhältnis bestehe allerdings ni...