Nr. 4142 VV RVG
Leitsatz
- Die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV entsteht für alle Tätigkeiten des Verteidigers, die sich auf die Einziehung oder einer ihr gleichstehenden Rechtsfolge beziehen, unabhängig davon, ob die Vermögensabschöpfung auch der Entschädigung des Verletzten dient.
- Die Nr. 4142 VV setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus. Die Einziehung muss auch nicht im Verfahren beantragt worden sein. Es ist bereits ausreichend, wenn eine Einziehung in Betracht kommt oder nach Aktenlage geboten ist.
- Für die Bestimmung des Gegenstandswertes, der der Nr. 4142 VV zugrunde zu legen ist, ist nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe eine Einziehung im Urteil letztlich angeordnet worden ist, sondern vielmehr darauf, in welcher Höhe dem Angeschuldigten eine Einziehung drohte.
LG Coburg, Beschl. v. 22.2.2022 – 3 Qs 10/21
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war (Pflicht-)Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in einem Verfahren wegen eines Diebstahlsvorwurf – Diebstahl eines Bargeldbetrages von 120.000,00 EUR. Nachdem die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hatte, hat sie diese nach einem richterlichen Hinweis zurückgenommen und das Verfahren mit Verfügung gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.
Der Pflichtverteidiger hat im Rahmen der Kostenfestsetzung u.a. die Festsetzung einer Gebühr Nr. 4142 VV nach einem Gegenstandswert von 120.000,00 EUR beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Gebühr nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts hat das AG die Gebühr festgesetzt. Gegen diese Festsetzung hat der Vertreter der Staatskasse Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG keinen Erfolg. Das LG sieht den Ansatz der Nr. 4142 VV als zutreffend an.
II. Beratende Tätigkeit genügt
Das LG verweist darauf, dass die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV bereits dann für die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes anfällt, wenn eine Einziehung in Betracht kommt (BeckOK RVG, 50. Edition, Stand: 1.12.2020, VV 4142 Rn 9–10). Nr. 4142 VV setze keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus. Die Einziehung müsse auch nicht im Verfahren beantragt worden sein. Es sei bereits ausreichend, wenn eine Einziehung in Betracht kommt oder nach Aktenlage geboten ist (OLG Dresden RVGreport 2020, 227).
Dies sei vorliegend der Fall. Aus den Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Coburg vom 13.9.2019 ergebe sich, dass die ersten Ermittlungen für eine Vermögensabschöpfung aufgenommen wurden. Der Angeschuldigte bzw. der Verteidiger, welcher am 25.10.2019 Akteneinsicht hatte, mussten folglich mit einer vermögensabschöpfenden Maßnahme rechnen, sodass eine Beratung diesbezüglich sachgerecht war. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Angeschuldigte aufgrund des Testamentes seines, nach der Entnahme des Geldes zwischen dem 20.0.2019 und 21.4.2019 verstorbenen Vaters, Erbe geworden war. Das Testament sei durch die Polizei sichergestellt worden. Dennoch habe die Polizei trotz Kenntnis des Testaments Finanzermittlungen im Hinblick auf eine eventuelle Vermögensabschöpfung vorgenommen, sodass eine Beratung diesbezüglich durch den Verteidiger nicht völlig fernliegend war. Zwar habe die Staatsanwaltschaft am 6.6.2019 in der Akte vermerkt, dass vorerst keine weiteren Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung veranlasst seien. Jedoch sei erst mit Anklageerhebung vom 9.12.2019 endgültig von Vermögensabschöpfung abgesehen worden. Bis zur Erhebung der Anklage seien weitere vermögensabschöpfende Maßnahmen nicht ausgeschlossen bzw. zumindest jedoch nicht derart fernliegend gewesen, dass eine anwaltliche Beratung hierzu nicht sachgerecht gewesen wäre. Zumal auch eine Beratung zu den bereits vorgenommenen Maßnahmen sowie zu den etwaigen Auswirkungen des Todes des Vaters und des Testamentes auf die weiteren Ermittlungen und vermögensabschöpfenden Maßnahmen bereits eine Beratung, die sich auf eine mögliche Einziehung bezieht, darstelle.
III. Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung
Vor der am 1.7.2017 in Kraft getretenen Neuregelung der Vermögensabschöpfung sei die Ansicht vertreten worden, dass es sich bei der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV zugrundeliegenden Tätigkeit um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenem den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen musste. Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe waren daher nach h.M. nicht erfasst. Das am 1.7.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung grundlegend neu geregelt. Das Rechtsinstitut des Verfalls ist abgeschafft und durch das Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt worden. Ebenso sind die Regelungen zur Rückgewinnungshilfe abgeschafft worden. Nach den Neuregelungen sind alle Anordnungen nach §§ 73 ff. StGB als Einziehung bezeichnet. Nach dem Wortlaut der Nr. 4142 VV fällt die die Verfahrensgebühr nach den Ausführungen des LG u.a. für alle Tätigkeiten an, die sich auf die Einziehung beziehen. Durch die neuen Vorschriften zur Vermögensabschöpfun...