Nrn. 2300, 3100, Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG; §§ 249, 286 BGB
Leitsatz
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats (im Anschluss an BGH, Urt. v. 15.8.2019 – III ZR 205/17, RVGreport 2019, 453 [Hansens] = zfs 2019, 702 m. Anm. Hansens).
BGH, Urt. v. 24.2.2022 – VII ZR 320/21
I. Sachverhalt
Die Klägerin hatte für von der Beklagten in Auftrag gegebene Parkettarbeiten eine Teilrechnung vom 30.5.2018 über 3.570,00 EUR und eine Schlussrechnung vom 14.6.2018 über weitere 3.911,45 EUR erteilt. Die Zahlung sollte innerhalb von 8 Kalendertagen nach Rechnungsdatum ohne Abzug erfolgen. Unter dem 4.7.2018 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, die Rechnungen seien noch unbezahlt, sie bitte um umgehende Überweisung bis spätestens 9.7.2018. Mit weiterer E-Mail vom 11.7.2018 setzte die Klägerin der Beklagten eine Frist zur Zahlung der Rechnungen über insgesamt 7.481,45 EUR bis zum 16.7.2018. Nachdem auch hierauf keine Zahlung erfolgte, beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten. Dieser forderte die Beklagte mit dem am selben Tag zugegangenen Schreiben vom 26.7.2018 zur Zahlung des offenen Rechnungsbetrags zzgl. Zinsen, vorgerichtlicher Mahnkosten und der Kosten seiner Beauftragung i.H.v. 612,80 EUR auf. Dieser Betrag setzte sich aus einer 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV nach einem Gegenstandswert von 7.481,45 EUR i.H.v. 592,80 EUR und der Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV i.H.v. 20,00 EUR zusammen. Die Beklagte zahlte an die Klägerin am 27.7.2018 einen Betrag i.H.v. 3.911,45 EUR. Während des anschließend über den Restbetrag einschließlich Zinsen und Kosten eingeleiteten Mahnverfahrens hat die Beklagte an die Klägerin am 27.9.2018 weitere 3.570,00 EUR gezahlt.
Im Streitverfahren hat die Klägerin vor dem AG Solingen beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Zinsen, Mahnkosten i.H.v. 5,00 EUR sowie den Anwaltskosten i.H.v. 612,80 EUR, ebenfalls nebst Zinsen, zu verurteilen.
Das AG Solingen hat die Beklagte – soweit hier von Interesse – zur Zahlung der Anwaltskosten verurteilt Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist beim LG Wuppertal erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte beim BGH die Klageabweisung wegen eines Betrags von 612,80 EUR nebst Zinsen betreffend die vorgerichtlichen Anwaltskosten beantragt.
Der BGH hat das Urteil des LG Wuppertal aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
II. Materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch
1. Grundsätze
Der BGH hat auf seine ständige Rspr. verwiesen, wonach ein Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Anwaltskosten zu erstatten hat. Vielmehr sind danach nur solche Anwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Dies beurteilt sich nach Auffassung des BGH ex ante aus der Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind nach den weiteren Ausführungen des BGH keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Vielmehr komme es darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalles aus der Sicht des Geschädigten darstelle (BGH NJW-RR 2016, 511; BGH AGS 2015, 589 = RVGreport 2016, 25 [Hansens] = zfs 2016, 44 m. Anm. Hansens; BGH NJW 2005, 1112).
Ein solcher zum Schadensersatz berechtigender Fall dann vor, wenn der Schuldner einer Entgeltforderung in Zahlungsverzug gerät. Selbst in einfach gelagerten Fällen sei – so fährt der BGH fort – zur Beitreibung einer solchen Forderung die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig. Das seinerseits Erforderliche tue der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setze. Demgegenüber müsse er eine weitere Verzögerung der Erfüllung seiner Forderung nicht hinnehmen. Folglich kann er nach Auffassung des BGH seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen (BGH NJW 2015, 3793).
2. Die Umstände im Fall des BGH
Die Voraussetzungen für einen solchen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch lagen hier nach Auffassung des BGH vor. Die Beklagte habe sich seit dem 17.7.2018 in Verzug befunden. Erst neun Tage später habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sein kostenauslösendes Mahnschreiben verschickt.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die offenen Rechnungsbeträge ohne die anwaltliche Tätigkeit bezahlen würde, habe die Klägerin nicht gehabt. Der Umstand, dass bei der Klägerin eine Zahlung i.H.v. 3.911,45 EUR am 27.7.2018 eingegangen sei, habe keinen Einfluss auf die ex ante Sicht der Klägerin gehabt. Es sei nämlich nicht ersichtlich noch von der Beklagten behauptet worden, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Beauftragung ihres Rechtsanwalts Kenntnis von der anstehenden Zahlung hatte oder hätte haben müssen.
Nach den w...