§ 14 Abs. 1 RVG; Nr. 4104 VV RVG
Leitsatz
Zur Bemessung der amtsgerichtlichen Verfahrensgebühr in einem straßenverkehrsrechtlichen Verfahren, in dem der Verteidiger im § 111a StPO-Verfahren tätig geworden ist.
AG Linz, Beschl. v. 22.3.2023 – 3 Cs 2080 Je 32837/22
I. Sachverhalt
Der Verteidiger war für den ehemaligen Angeklagten in einem Verfahren wegen Trunkenheit Im Verkehr tätig. Der ehemalige Angeklagte ist freigesprochen worden. Der Verteidiger hat die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten geltend gemacht. Dabei hat er für die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV die Höchstgebühr angesetzt. Der Urkundsbeamte hat diese lediglich i.H.d. Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen hat der Verteidiger Erinnerung eingelegt. Er ist der Ansicht, dass insbesondere der Umstand, dass er sich im Ermittlungsverfahren zu der Sicherstellung des Führerscheins geäußert, den Tatort besichtigt und Fotos gefertigt habe, den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertige. Die Erinnerung hatte nur teilweise Erfolg.
II. 20-%-Grenze
Das AG hat die Verfahrensgebühr lediglich i.H.d. um 15 % erhöhten Mittelgebühr als erstattungsfähig angesehen. Zwar bestimme grds. der Rechtsanwalt selbst die Höhe der Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG nach billigem Ermessen. Die Bestimmung sei allerdings dann nicht verbindlich, wenn sie nach Ansicht des zahlungspflichtigen Dritten hier der Landeskasse – unbillig sei. Davon sei auszugehen, wenn die vom Rechtsanwalt bestimmt Höhe der Gebühr um mehr als 20 % über der vom erstattungspflichtigen Dritten als angemessen angesehene Höhe der Gebühr liege.
Dies sei vorliegend der Fall. Der Umstand, dass sich der Verteidiger im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis schriftsätzlich geäußert bzw. Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung i.S.d. § 111a StPO eingelegt habe, den Tatort besichtigt und Fotos von der Örtlichkeit gefertigt habe, rechtfertige den Ansatz einer Verfahrensgebühr i.H.v. 319,00 EUR nicht. Die Mittelgebühr betrage 181,50 EUR. Eine Erhöhung um ca. 76 % gegenüber der Mittelgebühr sei nicht gerechtfertigt.
III. Bestimmung im Einzelfall
Gemäß § 14 RVG sei die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und -Vermögensverhältnisse des Auftraggebers zu bemessen. In der Sache sei es um ein Verkehrsstrafverfahren vor dem AG(Strafrichter), das keine Besonderheiten aufgewiesen habe, gegangen. Der Sachverhalt sei überschaubar gewesen, sämtliche Kriterien des § 14 RVG seien vorliegend als durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich einzustufen.
Soweit der Verteidiger sich im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis geäußert habe, sei zwar zutreffend, dass dies bei der Bemessung der Verfahrensgebühr grds. mitzuberücksichtigen sei. Denn für Beschwerden gegen § 111a StPO-Beschlüsse bzw. das Auseinandersetzen mit der Beschlagnahme des Führerscheins entstehe keine besondere Gebühr. Das Beschwerdeverfahren sei vielmehr aufgrund des in Vorbem. 4.1 Abs. 1 VV normierten Pauschalcharakters der Gebühren durch die jeweiligen Verfahrensgebühren mit abgegolten (vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 570 ff). Hierdurch werde jedoch zugleich deutlich, dass dem Beschwerdeverfahren keine besondere, eigenständige Bedeutung bei der Bemessung der Gebühren zuerkannt worden sei, sodass dies bei der Ermittlung der hier in Rede stehenden Verfahrensgebühr allenfalls zu einer leicht überdurchschnittlichen Bemessung führe.
Gleiches gelte auch für die vom Verteidiger im Ermittlungsverfahren vorgenommene Besichtigung des Tatorts und Fertigung von Lichtbildern. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Kosten eigener Ermittlungstätigkeit des Verteidigers grds. nicht notwendig i.S.d. § 464a Abs. 2 StPO seien, denn die Ermittlung belastender und entlastender Umstände im Ermittlungsverfahren sei gem. § 160 StPO Aufgabe der Staatsanwaltschaft (s. hierzu ausführl. Burhoff, AGS 2023, 193 ff., in diesem Heft). Darüber hinaus seien die prozessualen Möglichkelten – etwa durch das Stellen entsprechender Beweisanträge – auszuschöpfen und gingen privaten Ermittlungen vor (vgl. BeckOK StPO/Niesier, 46. Ed., 11.2023, § 464a Rn 23; Meyer-Goßner, StPO, 66. Aufl., 2023, § 464b, Rn 16; LG Detmold, Beschl. v. 9.6.2008 – 4 Qs 47/08). Dennoch soll diese für das Verfahren durchaus zielführende Tätigkeit des Verteidigers vorliegend nicht gänzlich außer Ansatz bleiben, sondern sei bei der Bemessung der Verfahrensgebühr mit zu berücksichtigen, was jedoch ebenfalls im Ergebnis nur eine leichte Erhöhung der Mittelgebühr rechtfertige.
IV. Bedeutung für die Praxis
Die Gebührenbemessung anhand der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist nicht einfach. Das beweist der vorliegende Beschluss, zu dem Folgendes anzumerken ist.
1. Zutreffend ist der Ansatz der AG, dass der Rechtsanwalt die "richtige" Gebührenhöhe grds. selbst ermittelt und...