Nr. 4102 VV RVG; § 14 RVG
Leitsatz
- Unter dem Begriff der Vernehmung i.S.d. Nr. 4102 VV ist eine Befragung zu verstehen, bei der der Vernehmende beim Vernommenen in offizieller Funktion Auskunft sucht bzw. diesen anhört. Es ist nicht eine förmlich anberaumte Vernehmung erforderlich. Ein aktives Verhandeln ist seitens des anwesenden Verteidigers für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich.
- Hinsichtlich der Höhe der Vernehmungsterminsgebühr ist maßgeblich auf die Dauer der Vernehmung abzustellen.
LG Leipzig, Beschl. v. 6.1.2023 – 5 Qs 66/22
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung. Im Rahmen der Ermittlungen fand am 7.11.2019 ein Polizeieinsatz am Tatort in der in Leipzig statt, in dessen Rahmen der Angeklagte mit seinem Wahlverteidiger erschien, sich u.a. auswies und sich nach entsprechender polizeilicher Belehrung nicht zu dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt äußern wollte.
Der Angeklagte ist vom AG vom Vorwurf der Nötigung rechtskräftig freigesprochen worden. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung hat der Angeklagte auch die Erstattung einer Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Nr. 2 VV i.H.v. 245,00 EUR beantragt. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Die Gebühr sei nicht entstanden, da keine Vernehmung des Angeklagten durch die Polizei, sondern lediglich eine Identitätsfeststellung stattgefunden habe. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hatte Erfolg.
II. Begriff der Vernehmung in Nr. 4102 VV
Nach Auffassung des LG Leipzig ist für die Teilnahme des Rechtsanwalts an dem Termin am 7.11.2019 dem Grunde nach eine Gebühr gem. Nr. 4102 Nr. 2 VV entstanden. Nach dieser Vorschrift entstehe eine Terminsgebühr – i.H.v. 44,00 EUR bis 330,00 EUR – für die Teilnahme des Wahlverteidigers an Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde. Nach dem insoweit geltenden formellen Vernehmungsbegriff der StPO seien unter einer Vernehmung sämtliche Befragungen zu verstehen, bei welchen der Vernehmende beim Vernommenen in offizieller Funktion Auskunft suche bzw. diesen anhöre (MüKo StPO/Schuhr, vor § 133 StPO Rn 36; KK/Weingarten, StPO, 9. Aufl., 2023, § 163a StPO Rn 2a, u.a. unter Verweis auf BGH NJW 2018, 1986). Ein enger gefasster Begriff, der etwa nur förmlich anberaumte Vernehmungen als solche bezeichnet, würde insbesondere den Anwendungsbereich der gesetzlich geregelten Belehrungspflichten sinnwidrig verkürzen (Schuhr, a.a.O.). Ein aktives Verhandeln sei seitens des anwesenden Verteidigers für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich (Toussaint/Felix, KostR, 52. Aufl., 2022, RVG VV 4102 Rn 10).
Anhand dieser Maßstäbe sei davon auszugehen, dass bei dem Polizeieinsatz am 7.11.2019 über die bloße Identitätsfeststellung hinaus auch eine Befragung und damit eine Vernehmung des Angeklagten in Anwesenheit des Rechtsanwalts stattgefunden habe: Die Befragung und das Auskunftsverlangen richteten sich zunächst darauf, ob der in dem Wohnmobil durch die Polizei aufgefundene Hund dem Mandanten des Rechtsanwalts gehörte und darüber Rückschlüsse auf seine Identität gezogen werden können. Allerdings erfolgte dies erst, nachdem sich der Beschuldigte bereits ausgewiesen hatte, sodass dessen Identität bereits festgestellt worden war. Zudem sei jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht auszuschließen gewesen, dass die Frage, wer Besitzer des Hundes sei, auch für die Schuldfrage habe von Belang sein konnte. Aber auch unabhängig davon spreche für das Vorliegen einer Vernehmung i.S.d. StPO bereits, dass der Mandant des Rechtsanwalts durch die Polizei über sein Recht auf Aussagefreiheit belehrt worden sei. Offenbar sei die Polizei selbst der Annahme gewesen, eine formelle Vernehmung durchzuführen, da nur bei einer solchen die Pflicht zur Belehrung bestehe.
III. Höhe der Gebühr
Nach Auffassung des LG war allerdings der vom Rechtsanwalt insoweit geltend gemacht gemachte Betrag von 245,00 EUR unbillig hoch und damit nicht verbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Insoweit schließt sich das LG der überwiegenden Auffassung in Rspr. und Lit. an, wonach von der Unbilligkeit der Gebührenbestimmung durch einen Rechtsanwalt dann auszugehen sei, wenn die geltend gemachte Gebühr, die als angemessen anzusehende Gebühr um mehr als 20 % übersteige (vgl. etwa BeckOK RVG/v. Seltmann, 58. Ed., 1.9.2021, § 14 Rn 13).
Wesentliches – wenngleich nicht alleiniges – Kriterium für die Festsetzung der Terminsgebühr sei die zeitliche Dauer des Termins. Der Termin am 7.11.2019 habe nach einem Aktenvermerk der Polizei vom selben Tag lediglich rund 15 Minuten gedauert (vgl. insoweit: "Gegen 10:30 Uhr erschien RA pp. im Beisein [...]."; "Gegen 10:45 Uhr verließen die Beamten den Einsatzort."). Kriterien, welche die weit unterdurchschnittliche Dauer des Termins kompensieren könnten, seien nicht ersichtlich, zumal auch der Umfang der Angelegenheit unterdurchschnittlich gewesen sei. Auch habe die Polizei dem Angeklagten – unter Zugrundelegung des Aktenvermerks vom 7.11.2019 – lediglich eine ei...