1. Mal wieder eine der zahlreichen Entscheidungen, mit der ein Pauschgebührantrag eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen worden ist. Leider referiert die Entscheidung letztlich nur Rspr. des BVerfG, nimmt aber zu den konkreten Umständen des Verfahrens kaum Stellung, sodass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob nicht der Antrag des Pflichtverteidigers – zumindest teilweise – hätte erfolgreich sein müssen. Es wäre sicherlich besser gewesen, das OLG hätte diese Einzelheiten angeführt als die sattsam bekannte Rspr. des BVerfG, an deren Richtigkeit man m.E. zweifeln kann, erneut zu referieren.
2. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf Folgendes:
a) Das OLG irrt, wenn es als "Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers … nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr" ansieht. Das RVG hat vielmehr durch die neu geschaffenen Gebührentatbestände der Grundgebühr Nr. 4100 VV, der Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV und der unterschiedlichen Verfahrensgebühren ausdrücklich leistungsorientiert eine Vergütungsregelung geschaffen, die gerade durch eine verbesserte und differenziertere Vergütung für die Tätigkeiten des Verteidigers, auch des Pflichtverteidigers, im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sorgen sollten (vgl. dazu BT-Drucks 15/11971, 2, 146 ff.). Von daher ist die Behauptung, die "Hauptverhandlungsterminsgebühr" sei die "Kerngebühr", zumindest gewagt.
Auch der Hinweis darauf, dass es zu "den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege" (sic!) gehöre, die Verfahrensakte vollständig durchzusehen und mit seinem Mandanten zu besprechen, führt nicht weiter. Das ist richtig, aber die Frage, inwieweit sich aus der Einarbeitung in die Akte und der Besprechung des Inhalts mit dem Mandanten ein Ansatzpunkt für eine Pauschgebühr ergibt, hängt doch entscheidend vom Umfang der Akte (und deren Inhalt) ab. Dazu schweigt der Beschluss aber; der Umfang der Anklage mit 154 Seiten spricht allerdings für einen schon erheblichen Umfang. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die Sichtung von Bildmaterial in einem "Kipo-Verfahren".
b) Unzutreffend bzw. überspannt sind m.E. auch die Ausführungen des OLG zum Umfang der Antragsbegründung. Natürlich muss der Verteidiger seinen Pauschgebührantrag begründen. Aber was soll eine "tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar ausgeglichen wird"?. Die Frage kann das OLG doch anhand der ihm – hoffentlich vorliegenden Akten unschwer selbst beurteilen. Denn es gehört zu den "selbstverständlichen Pflichten" des entscheidenden OLG-Richters, die Akte durchzusehen und auf Umstände zu prüfen, die ggf. die Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen. Nur, wenn Tätigkeiten erbracht worden sind, die sich nicht aus der Akte ergeben, muss der Pflichtverteidiger dazu vortragen. Eine dem § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vergleichbare Vorschrift kennt das Gebührenrecht – zum Glück – nicht.
c) Schließlich sind die Ausführungen des OLG: "Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen sind nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen." in der Allgemeinheit zumindest fraglich. Denn die Frage wird in der Rspr. durchaus differenziert gesehen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 136 f.).
3. Fazit: Alles in allem m.E. ein Beschluss, der Fragen offen lässt und teilweise unsauber argumentiert.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 5/2023, S. 213 - 215