§ 60 RVG

Leitsatz

Die vorgerichtliche Anzeige, für den Fall einer Hauptsacheklage zustellungs- und prozessbevollmächtigt zu sein, stellt allenfalls einen bedingten Auftrag dar, sodass es für die Frage der Anwendbarkeit des maßgeblichen Vergütungsrechts nicht auf den Zeitpunkt der Anzeige ankommt, sondern auf den späteren Zeitpunkt der Erhebung der Hauptsacheklage.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.5.2023 – 6 W 15/23

I. Sachverhalt

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hatten mit Anwaltsschreiben vom 16.2.2018 erklärt, für den Fall einer Hauptsacheklage zustellungs- und prozessbevollmächtigt zu sein. Diese Hauptsacheklage ist dann 28.5.2021 eingereicht und in erster Instanz abgewiesen worden. Daraufhin hat die Beklagte die Festsetzung der ihr entstandenen Anwaltskosten beantragt, und zwar nach dem RVG i.d.F. v. 1.1.2021. Die Rechtspflegerin hat antragsgemäß festgesetzt. Dagegen hat die Klägerin sofortige Beschwerde erhoben und geltend gemacht, es sei noch altes Recht i.d.F. vor dem 1.1.2021 anzuwenden, da die Beklagte ihre Prozessbevollmächtigten in Bezug auf die streitgegenständliche Hauptsacheklage bereits im Februar 2018 beauftragt hätten. Das OLG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

II. Es gilt bereits neues Recht

Das LG ist zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen davon ausgegangen, dass für die Höhe der im Kostenfestsetzungsverfahren anzusetzenden Gebühren das RVG in der seit dem 1.1.2021 geltenden Fassung maßgeblich ist.

Nach der Übergangsvorschrift in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist für die Vergütung das bisherige Recht anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist.

Diese Voraussetzung für eine Anwendbarkeit des RVG a.F. hat das LG zu Recht verneint. Es ist nicht schlüssig dargetan und auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihre Prozessbevollmächtigten schon vor Inkrafttreten des RVG n.F. am 1.1.2021 unbedingt mit der Rechtsverteidigung im Hauptsacheverfahren beauftragt hätte. Zwar hat die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 16.2.2018 die Zustellungs- und Prozessbevollmächtigung ihrer Anwälte für den Fall einer Hauptsacheklage angezeigt. Darin hat nach zutreffender Auffassung des LG und der Beklagten aber noch kein unbedingtes Mandat zur Vertretung in einem im Jahr 2018 noch nicht anhängigen Rechtsstreit gelegen. Dem Schreiben vom 16.2.2018 kann allenfalls die (implizite) Information über einen unter der aufschiebenden Bedingung (§§ 158 Abs. 1, 163 ZPO) einer Hauptsacheklage stehenden Auftrag zur Prozessvertretung im Hauptsacheverfahren beigemessen werden (vgl. insofern z.B. BT-Drucks 565/20, 92, zu Nr. 14 [§ 60 RVG]; OLG Celle, Beschl. v. 22.9.2022 – 1 Ws 51/22, juris Rn 18; Mayer/Kroiß/Klees, RVG, 8. Aufl., 2021, § 60 Rn 12; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., 2021, § 60 Rn 6; Riedel/Sußbauer/Schneider, RVG, 10. Aufl., 2015, § 60 Rn 9, noch zu § 60 RVG a.F.). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine solche aufschiebende Bedingung bereits mit Einreichung (Anhängigkeit) der streitgegenständlichen Hauptsacheklage am 28.5.2021 eingetreten ist/wäre oder erst mit deren nachfolgender Rechtshängigkeit. Da beide Zeitpunkte nach dem 1.1.2021 liegen, hat das LG für die Höhe der Gebühren zutreffend das RVG n.F. angewendet.

III. Keine Veranlassung zur Aussetzung des Beschwerdeverfahrens

Von der Möglichkeit, das Beschwerdeverfahren auszusetzen, bis das mit der Berufung angefochtene erstinstanzliche Urteil rechtskräftig ist (§ 104 Abs. 3 S. 2 ZPO), wird vorliegend kein Gebrauch gemacht. Die Beklagte ist dem von der Klägerin angeregten Zuwarten entgegengetreten. Außerdem kann sich die zwischen den Parteien streitige Frage nach der für die Kostenfestsetzung maßgeblichen Fassung des RVG in der Berufungsinstanz erneut stellen.

IV. Keine Zulassung der Rechtsbeschwerde

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht vorliegend kein Anlass. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des BGH (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).

V. Bedeutung für die Praxis

Für die Frage, ob altes oder neues Recht anzuwenden ist, kommt es auf den Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung an (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG). Wird der Auftrag bedingt erteilt, dann kommt es gem. § 158 BGB auf den Eintritt der Bedingung an. Insoweit war es hier unerheblich, ob der Auftrag für die Vertretung im Rechtsstreit erst nach Klagezustellung erteilt worden ist oder schon im Jahre 2018. Sofern er bereits im Jahre 2018 erteilt worden ist, handelte es sich jedenfalls um einen bedingten Auftrag, nämlich unter der Bedingung der Klageerhebung bzw. -zustellung (zum vergleichbaren Fall der Anklageerhebung s. OLG Celle AGS 2022, 443). Die Auffassung des Klägerseite hätte ja zu Konsequenz, dass mit der Anzeige der Zustellungs- und Prozessbevollmächtigung für den Fall einer Hauptsacheklage bereits die Verfahrensgebühr der Nrn. 3100, 3101 Nr. 1 VV anfallen würde. Der Anwalt würde danach schon eine Verfahrensgebühr verdienen, ohne dass es überhaupt einen Rechtsstreit gäbe. Das ist nach einhelliger Auffassung aber nicht der Fall.

Rechtsanwalt Norb...

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