§§ 22, 23 RVG; Nr. 4142 VV RVG
Leitsatz
Der Gegenstandswert für die Einziehung richtet sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist noch ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt. Ebenfalls ist nicht erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache in Betracht kommt.
LG Berlin, Beschl. v. 5.3.2024 – 511 Qs 5 und 10/24
I. Sachverhalt
Der Angeklagte ist – von Betrugsvorwürfen – freigesprochen worden. Er hat wegen der im Verfahren gegen ihn geltend gemachten "Einziehungsansprüche" Festsetzung des Gegenstandswertes beantragt. Das AG hat den Gegenstandswert betreffend das Einziehungsverfahren auf 2.400,00 EUR festgesetzt. Auf die Beschwerde des ehemaligen Angeklagten ist der Gegenstandswert auf 5.850,83 EUR festgesetzt worden.
II. Zulässigkeit der Beschwerde
Das LG hat die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes als zulässig angesehen. Deren Statthaftigkeit ergebe sich aus § 33 Abs. 3 S. 1 RVG. Da der jedenfalls nach dem 15.11.2023 ergangene Beschl. des AG weder datiert noch – soweit ersichtlich – bekanntgegeben oder gar förmlich zugestellt worden sei, gelte die Beschwerde auch als innerhalb der Frist des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG erhoben. Eine Zurückverweisung an das AG zur Durchführung des gem. § 33 Abs. 4 S. 1 RVG gebotenen Abhilfeverfahrens komme vorliegend nicht in Betracht. Das Abhilfeverfahren sei für die Entscheidung des Beschwerdegerichts keine Verfahrensvoraussetzung (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 306 Rn 10). Da die Kammer nicht an einer sofortigen eigenen Sachentscheidung gehindert ist, käme eine erneute Übersendung an das AG zur Entscheidung über die Abhilfe vorliegend einer bloßen Förmelei gleich. Die Kammer sei bezüglich der Festsetzung des Gegenstandswertes schlussendlich auch trotz des – grds. vorrangigen – Antrags auf Feststellung einer Pauschgebühr nicht an einer Entscheidung gehindert, da der Vorrang hinsichtlich von Wertgebühren nicht gelte (§ 42 Abs. 1 S. 2 RVG).
III. Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV
Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes war nach den weiteren Ausführungen des LG Berlin auch (teilweise) begründet. Der Gegenstandswert für die Einziehung richte sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung (vgl. BGH, Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 471/18, RVGreport 2019, 431 m.w.N.). Es komme weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig sei, noch ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehle. Ebenfalls sei nicht erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden sei. Es genüge, dass sie nach Lage der Sache in Betracht kommt (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 14.2.2020 – 1 Ws 40/20, RVGreport 2020, 227). Somit sei vorliegend unschädlich, dass weder in der Anklageschrift oder im Eröffnungsbeschluss noch in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit der Einziehung hingewiesen oder ein entsprechender Antrag gestellt worden sei. Maßgeblich sei vielmehr, dass nach dem konkreten Anklagesatz, der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen worden sei, bezüglich des Freigesprochenen (zumindest in jedenfalls sieben von acht ihm zur Last gelegten Taten) eine Einziehung tatsächlich in Betracht gekommen sei. Hiervon sei auch das AG in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgegangen.
IV. Bemessung des Gegenstandswertes
Wie die Beschwerdebegründung des Angeklagten zutreffend wiedergebe, sei ein Vermögensgegenstand oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteil i.S.d. § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB "durch" eine rechtswidrige Tat als Tatertrag erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen sei, dass er seiner faktischen Verfügungsgewalt unterliegt. Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse komme es dabei nicht an. Eine solche Verfügungsgewalt sei jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen könne. Bei mehreren Beteiligten genüge zumindest eine tatsächliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand dergestalt, dass die Möglichkeit eines ungehinderten Zugriffs auf diesen bestehe. Für die Bestimmung des Erlangten i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB komme es allein auf eine tatsächliche Betrachtung an; wertende Gesichtspunkte seien nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig komme es darauf an, ob und ggf. in welchem Umfang der Beteiligte eine zunächst gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Beschl. v. 10.1.2023 – 3 StR 343/22, wistra 2023, 206 m.w.N.).
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze sei somit maßgeblich, inwieweit der Freigesprochene ungehindert Zugriff auf vermeintlich betrügerisch erlangte Geldbeträge hatte. Dass er insoweit als Mitglied einer Bande angeklagt gewesen sei, be...