Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus
Über den neuen § 15a RVG ist in den vorangegangenen Heften schon einiges geschrieben worden. Er ist als "Anhängsel" im "Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften" mit enthalten. Da der Bundesrat Änderungen hinsichtlich der berufsrechtlichen Regelungen wünschte, wurde der Vermittlungsausschuss angerufen, der das Gesetz aber unverändert bestätigt hat. Daraufhin hat der Bundesrat in seiner Sitzung vom 12.6.2009 mit Zwei-Drittel-Mehrheit Einspruch gegen dieses Gesetz eingelegt. Es liegt nunmehr am Bundestag, diesen Einspruch mit Zwei-Drittel-Mehrheit, mindestens der absoluten Mehrheit, zu überstimmen, so dass dann der Verkündung nichts mehr im Wege steht. Das Gesetz ist nicht zustimmungsbedürftig.
Nach dem derzeitigen Stand ist davon auszugehen, dass der Bundestag noch in der 25. Kalenderwoche das Gesetz mit der erforderlichen Mehrheit verabschieden wird und dass dieses Gesetz dann auch unverzüglich verkündet wird.
Bereits jetzt hat das noch nicht verabschiedete Gesetz Auswirkungen auf die Rechtsprechung. So hat das AG Wesel (Beschl. v. 26.5.2009 – 27 C 125/07) offenbar als erstes Gericht den "Anrechnungsunsinn" des BGH de lege ferenda über Bord geworfen und eine Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren abgelehnt. Die Entscheidungsgründe lauten auszugsweise:
"Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr erfolgt nicht. Der Gesetzgeber wird in Kürze einen § 15a RVG einführen, der die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich verbietet. Aus der Begründung der Gesetzesänderung geht eindeutig hervor, dass diese Verfahrensweise bereits mit Einführung des RVG gewollt war. Damit ist mit der erfolgten Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag eine Bindungswirkung der einschlägigen anderslautenden Urteile des BGH nicht mehr gegeben."
Diese couragierte Entscheidung ist zu begrüßen. Es ist zu hoffen, dass diese Rechtsprechung Schule macht.
Die Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren wird von dem überwiegenden Teil der Praxis als ungerecht und falsch empfunden.
Nachdem der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung ausgeführt hat, dass er damit keine neue Regelung schaffen will, sondern dass er nur klarstellen will, was schon seit jeher gegolten habe, dürfte in der Tat keine Bindungswirkung mehr bestehen.
Insbesondere wird sich die Frage der Anwendbarkeit des § 15a RVG nicht im Rahmen des § 60 RVG (Übergangsrecht) stellen. Vielmehr muss der nunmehr klar und eindeutig zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung der Anrechnungsvorschriften berücksichtigt werden. Die Rechtsprechung des BGH wird also angesichts dessen mit der bisherigen Begründung nicht weiter aufrechtzuerhalten sein.
Es ist zu hoffen, dass der BGH im Hinblick auf den neuen § 15a RVG und die Gesetzesbegründung über seinen Schatten springt und von seiner Rechtsprechung nicht nur für die Neufälle, sondern auch für Altfälle abrückt. Dass dies möglich ist, hat das AG Wesel bewiesen.
Norbert Schneider