StPO § 464a
Leitsatz
Die Mehrkosten des auswärtigen Wahlverteidigers sind zu erstatten, wenn der Tatvorwurf massiv in die berufliche und wirtschaftliche Existenz des Angeklagten eingreifen kann.
OLG Naumburg, Beschl. v. 17.10.2008–1 Ws 307/08
1 Sachverhalt
Mit rechtskräftigem Urteil hatte die große Strafkammer des LG den ehemaligen Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt und ferner entschieden, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Verurteilung die dahingehenden Kosten des Verfahrens zu tragen habe, während die übrigen Verfahrenskosten und 4/5 der dem ehemaligen Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt wurden.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin die dem Angeklagten aufgrund des vorgenannten Urteils zu erstattenden notwendigen Auslagen festgesetzt, wobei beantragte Reisekosten, Übernachtungskosten und Abwesenheitsgelder des Verteidigers sowie Kosten für die Übersendung der Verfahrensakten vollständig und die Kosten von Fahrten des ehemaligen Angeklagten zu seinem Verteidiger teilweise in Höhe von insgesamt 1.440,04 EUR abgesetzt wurden.
Die gegen die Versagung der Erstattung der vorgenannten Kosten gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Inwieweit Fahrtkosten, Übernachtungskosten und Abwesenheitsgelder eines auswärtigen Wahlverteidigers im Fall eines – wie hier – überwiegenden Freispruchs des ehemaligen Angeklagten von der Staatskasse erstattet werden müssen, ist umstritten und bisher Einzelfallentscheidungen vorbehalten geblieben (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 464a Rn 12 m. w. Nachw.). Diese Frage hängt gem. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO davon ab, ob die Hinzuziehung eines nicht am Gerichtsort wohnenden Verteidigers notwendig war. Nach Auffassung des Senats sind die Mehrkosten des auswärtigen Wahlverteidigers jedenfalls dann zu erstatten, wenn sich der frühere Angeklagte einem schwerwiegenden Tatvorwurf gegenüber sah, der auch massiv beruflich und wirtschaftlich in seine Existenz eingreifen konnte (vgl. Senat, Beschl. v. 13.6.2001–1 Ws 74/01, u. v. 27.3.2008–1 Ws 67/08). Welche Maßnahmen der Angeklagte bei erheblichen und seine Existenz betreffenden Tatvorwürfen für notwendig erachtet, muss seiner freien Entschließung überlassen bleiben. Eine öffentliche Klage greift jedenfalls in diesen Fällen so tief in das persönliche Schicksal des Angeklagten ein, dass es seine nach dem jeweiligen Verfahrensstand und nicht rückschauend zu würdigende freie Entschließung ist, wie er sich gegen eine solche Anklage wehren will und mit welcher Geschwindigkeit er dies tut (vgl. LG Kassel StraFo 1999, 33 [34]). Die Entscheidung darf nicht durch nachträgliche gerichtliche Kosten- und Auslagenentscheidungen in Frage gestellt oder sogar unterlaufen werden (SchlHOLG JurBüro 1979, 1332). Eine vertretene gegenteilige Auffassung wird dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Angeklagten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfG NStZ 1984, 561 f.), in diesen Fällen nicht gerecht.
Die Voraussetzungen für die Wahl eines auswärtigen Verteidigers lagen hier vor. Es handelt sich um eine Strafsache von erheblichem Gewicht. Im Falle einer Verurteilung wegen der angeklagten Delikte hätte der Angeklagte zwar nicht mit einer hohen Freiheitsstrafe, jedoch mit einer Suspendierung vom Polizeidienst rechnen müssen. Insofern musste der Angeklagte im Rahmen des Disziplinarverfahrens auch mit beruflichen Nachteilen bis hin zu seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechnen.
Bei dieser Sachlage kann die Erstattungsfähigkeit der durch die Wahl des in Berlin ansässigen Rechtsanwaltes als Vertrauensanwalt entstehenden Kosten für den in Stendal durchzuführenden Prozess jedenfalls nicht mit dem (hauptsächlichen) Argument verneint werden, die Angelegenheit hätte auch durch einen ortsansässigen Rechtsanwalt erledigt werden können.
Gleiches gilt auch für die Ablehnung der Kostenerstattung für die Aktenübersendung und die teilweise Versagung der Erstattung der Fahrtkosten des ehemaligen Angeklagten zur Wahrnehmung von Besprechungsterminen in der Kanzlei seines Verteidigers.
Der Senat hat davon abgesehen, die erstattungsfähigen Reise-, Übernachtungskosten, Abwesenheitsgelder, Kosten der Aktenübersendung und Kosten für die Reisen des ehemaligen Angeklagten zu seinem Verteidiger nach Berlin selbst festzusetzen, weil bisher eine sachliche Entscheidung des LG zur Höhe jener erstattungsfähiger Kosten fehlt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 Rn 9 m. w. Nachw.).
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi, Berlin