Der Zauberer von Bremervörde
Einige Richter in diesem Lande müssen sich inzwischen fürchterlich langweilen. Anders ist es doch kaum zu erklären, dass jedenfalls in kleineren Amtsgerichtsbezirken eine besondere Leidenschaft für Zaubereien festgestellt werden kann.
Nachdem bereits das AG Walsrode seit geraumer Zeit zur Verzweifelung aller dort zugelassenen Anwälte die übrigens nach wie vor im Gesetz vorzufindende Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auf wunderbare Weise verschwinden lässt, hat man jetzt auch in Bremervörde Spaß an Zaubertricks gefunden.
Ähnlich der Argumentation aus Walsrode, an der bislang nur echte Spaßvögel Freude gefunden haben, entwickelt man jetzt auch in Deutschlands Norden ein Modell, Vergütungstatbestände des RVG sich in Luft auflösen zu lassen. So langsam macht es kaum noch Spaß, im Gebührenrecht Glossen zu Papier zu bringen, wenn die Rspr. einem die humoristischen Einlagen derart perfekt abnimmt.
Das Urteil des AG Bremervörde vom 16.12.2008 muss man einfach wie einen guten abgelagerten Wein aus dem Keller von Loriot genießen. Wie viel Arbeit hat man sich hier gemacht, eine vermeintlich wissenschaftliche Abhandlung in ein amtsrichterliches Urteil einfließen zu lassen, die offensichtlich einzig und allein dem Zweck dient, den betroffenen Rechtsanwalt um seine wohlverdienten Gebühren zu bringen. Da wird gewichtig über Seiten hinweg höchstrichterliche Rechtsprechung zitiert, um den Eindruck zu erwecken, auch der BGH stehe dem Anfall einer Geschäftsgebühr kritisch gegenüber. Da wird die Geschichte des deutschen Vergütungsrechts bemüht und – durchaus zutreffend – festgestellt, dass § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO seinerzeit noch die volle Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die anschließend im gerichtlichen Verfahren entstehende Gebühr vorsah. Messerscharf wird erkannt, dass dies seit immerhin 5 Jahren anders ist und dass nunmehr die Geschäftsgebühr nur anteilig, höchstens mit 0,75 angerechnet werden darf.
Spätestens bei dieser überraschenden Erkenntnis wäre es hilfreich gewesen, wenn das AG einen Blick in die einschlägige Kommentierung geworfen hätte. Mit etwas Sorgfalt wäre dann festgestellt worden, dass der Gesetzgeber diese Neuregelung mit dem erklärten Ziel vorgenommen hat, die Gerichte zu entlasten und jedem Auftraggeber und natürlich auch jedem Rechtsanwalt einen zusätzlichen Anreiz dafür zu geben, dass auch nach eigenen vergeblichen Mahnungen des Auftraggebers noch ein allerletzter anwaltlicher außergerichtlicher Versuch unternommen wird, die Sache beizulegen. Dies hängt damit zusammen, dass dem Gesetzgeber bewusst war und ist, dass völlig unstreitig ca. 75 % aller an Anwälte herangetragenen Fälle dann doch noch außergerichtlich beigelegt werden können.
Alle an der Gesetzgebung maßgeblich beteiligten Personen sind geradezu verzweifelt darüber, wie es einigen Richtern gelingt, diese vernünftige Intention des Gesetzes gewissermaßen in das Gegenteil zu verkehren. Nun könnte man sich natürlich fragen, warum ausgerechnet Richter den vom Gesetz beabsichtigten Entlastungseffekt konterkarieren wollen. Nun, dies wollen diese Zauberkünstler der deutschen Justiz eigentlich auch gar nicht. Wer genau hinsieht, entdeckt, dass nicht die außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit gemieden werden soll, sondern deren Honorierung. Äußerst findig erwartet man vom betroffenen Rechtsanwalt, dass dieser sich sofort Klageauftrag erteilen lässt, um dann als kostenneutrale Vorbereitungstätigkeit doch noch ein außergerichtliches Schreiben voranzustellen, das – der Richter wird's danken – dann vielleicht den gewünschten Erfolg hat. Nun ist allerdings kein Anwalt, der einen unbedingten Klageauftrag erhält, verpflichtet – gewissermaßen diesem Auftrag zuwider – doch noch außergerichtlich tätig zu werden. Und wenn man derartige Entscheidungen von einigen Amtsgerichten ernstnehmen würde, so würden sich die Gerichte wundern, mit welcher Flut von Klagen sie demnächst beglückt werden.
Anwälte sind aber in der Regel nicht nur leidgeprüfte und leidensfähige Individuen, sondern sie haben viel Sinn für Humor, manchmal auch Galgenhumor. Und in diesem Sinne sei allen Obergerichten, insbesondere aber dem OLG Celle, der Rat erteilt, doch demnächst bei superklugen Amtsrichtern Nachhilfe zu nehmen, damit man das RVG richtig begreift und zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung zu unterscheiden versteht.
Und dem Bundesjustizministerium und dem Bundestag und dem Bundesrat sei ins Stammbuch geschrieben, dass man sich mit so überflüssigen Gesetzesvorschlägen wie § 15a RVG doch nicht länger beschäftigen möge. Was kümmern einen eigentlich die Anrechnungsregeln, wenn unsere zauberhaften Amtsrichter die Geschäftsgebühr doch schon längst abgeschafft haben?
Herbert P. Schons