I. Einleitung
Die Handhabung leider immer noch vieler Gerichte, bei beiden Parteien bei mit und ohne Ratenzahlung bewilligter Prozesskostenhilfe "stets" und "im Regelfall" den Mindeststreitwert in Höhe von 2.000,00 EUR gem. § 48 Abs. 2 S. 1 GKG (§ 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG in der ab dem 1.9.2009 geltenden Fassung) anzunehmen, ist weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit der hierzu ergangenen Rspr. des BVerfG in Einklang zu bringen, nachdem dieses eine sich daraus ergebende Grundrechtsverletzung erstmals in seinem Beschl. v. 23.8.2005 und zuletzt in drei am 17.12.2008 verkündeten Entscheidungen bestätigt hat.
Insgesamt hat das BVerfG seit 2005, innerhalb von dreieinhalb Jahren, acht Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung angenommen, die die – zu geringe – Streitwertfestsetzung in Ehesachen betreffen, wenn beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Alle Verfassungsbeschwerden hatten Erfolg und dabei wurden allein fünf Beschlüsse des OLG Oldenburg aufgehoben, denen die gegenteilige Auffassung zugrunde lag. Was hat es damit auf sich?
Nach Art. 20 Abs. 3 GG binden die Entscheidungen des BVerfG auch die Gerichte. Wer dies glaubt, unterschätzt die zuweilen hartnäckige Ignoranz einiger OLG, die offenbar die eigene Entscheidungsfindung auf höherer, gleichsam wenig nachvollziehbarer Ebene suchen und dabei auch eine augenscheinliche Rechtsbeugung in Kauf nehmen. Neben dem OLG Naumburg, das bereits im Kalenderjahr 2006 die Aufmerksamkeit insoweit auf sich gezogen hatte, macht nun das OLG Oldenburg in gleicher Weise von sich reden. Auch wenn seinerzeit ein nach allgemeiner Auffassung höheres Rechtsgut als vorliegend verletzt worden war, will das BVerfG die grundsätzliche Haltung – den Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG – sanktionieren. Denn es steht fest, dass zahlreiche Obergerichte die Rspr. des BVerfG ignorieren.
Diese Entwicklung gibt zu denken, zumal Art. 20 Abs. 3 GG einer Idee der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit Ausdruck verleihen sollte, die durch die Rspr. vieler Gerichte offensichtlich nicht mehr gewährleistet werden kann. Jeder Richter am OLG kann schließlich ein zukünftiger Richter am BVerfG sein, jedenfalls theoretisch.
Auch wenn die nachfolgend in Bezug genommenen Entscheidungen des BVerfG inhaltlich grundsätzlich zu begrüßen sind und Anwälten, die sich heute geradezu mehrheitlich in einer wirtschaftlichen Krise befinden, zur Durchsetzung ihrer berechtigten Gebührenansprüche verhelfen, sind sie auch kritisch zu betrachten. Das BVerfG hat sich in seinen Begründungen der in Rede stehenden Entscheidungen geradezu emotional ereifert und den zunächst sachlich auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützten Grundrechtsverstoß in deutlich gereizter Stimmung auf einen Verstoß gegen das Willkürverbot "reduziert". Es reichte dem BVerfG offenbar, obwohl für die Anwaltschaft eine weitergehende Differenzierung der bisherigen – falschen – Praxis vieler Familiengerichte zur Streitwertfestsetzung in Ehesachen wünschenswert gewesen wäre. Auch hätte der Gesetzgeber das Inkrafttreten des FamGKG zum 1.9.2009 zum Anlass nehmen können, den Wortlaut der Vorschrift des § 48 Abs. 3 GKG zu ändern, um in der Praxis die Auslegung der Regelung zu vereinfachen. Indes wurde die Vorschrift inhaltlich in § 43 FamGKG übernommen.
II. Beschluss des BVerfG vom 23.8.2005–1 BvR 46/05
Erstmals hatte die 3. Kammer des ersten Senats des BVerfG in ihrem Beschl. v. 23.8.2005–1 BvR 46/05 – zur Streitwertfestsetzung bei beidseits bewilligter Prozesskostenhilfe entschieden:
"Es verstößt gegen die Berufsausübungsfreiheit der Rechtsanwälte, den Streitwert für Scheidungen, bei denen beiden Ehegatten Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, unabhängig von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen auf den Mindeststreitwert nach § 48 Abs. 3 S. 1 GKG festzusetzen."
Dem Beschl. v. 23.8.2005 lag eine Entscheidung des OLG Hamburg zu Grunde, das in Ehesachen bei beiderseitiger Bewilligung von PKH "stets" oder im "Regelfall" den Mindeststreitwert in Höhe von 2.000,00 EUR angenommen hatte.
Bereits das AG hatte den Streitwert auf den Mindestwert von 2.000,00 EUR festgesetzt, da den Parteien Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden war. Die von dem betroffenen Rechtsanwalt hiergegen erhobene und damit begründete Beschwerde, die Parteien verfügten über Einkommen, das unter Zugrundelegung des § 48 Abs. 3 S. 2 GKG den Mindestwert überschreite, wurde vom OLG Hamburg mit folgender Feststellung zurückgewiesen: "Es verbietet sich jedenfalls in solchen Fällen, in denen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse derart beengt sind, dass die Allgemeinheit die Kosten des Scheidungsverfahrens zu tragen hat, den Mindeststreitwert zu überschreiten."
Mit der hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerde rügte der betroffene Rechtsanwalt im Wesentlichen eine Verletzung der Berufsfreiheit, weil derart...