BRAGO § 3 Abs. 3; RVG § 3a Abs. 2
Leitsatz
- Es besteht keine Veranlassung, von der Rspr. abzurücken, wonach eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass eine Vergütungsvereinbarung unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 3a Abs. 2 RVG) verletzt ist, wenn ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung vereinbart, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt (Festhalten an BGH AGS 2005, 378).
- An den sehr hohen Anforderungen der Leitentscheidung AGS 2005, 378 ("ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände") kann möglicherweise nicht mehr in vollem Umfang festgehalten werden.
BGH, Urt. v. 12.2.2009 – IX ZR 73/08
1 Sachverhalt
Der Kläger beauftragte die beklagten Rechtsanwälte mit seiner Vertretung in einer strafrechtlichen Angelegenheit. Die Parteien vereinbarten ein Pauschalhonorar von 10.000,00 EUR. Der Kläger zahlte an die beklagten Rechtsanwälte 9.000,00 EUR. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt er die teilweise Rückzahlung dieses Betrages. Das Berufungsgericht hat die Beklagten unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und Klagabweisung im Übrigen zur Zahlung von 2.333,33 EUR nebst Zinsen verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen in der Berufungsinstanz gestellten Schlussantrag weiter.
2 Aus den Gründen
II. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung, weil es weder einen Tatbestand noch eine Bezugnahme gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO enthält und außerdem weder den Klageantrag noch die Berufungsanträge ausweist oder auch nur erkennen lässt (§ 547 Nr. 6 ZPO) ... (wird ausgeführt) ...
Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hingewiesen: Vereinbart ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 3a Abs. 2 RVG) verletzt ist (BGHZ 162, 98 ff.). Anlass, von dieser Rspr. abzurücken, sieht der Senat derzeit nicht. Klärungsbedarf besteht jedoch noch hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen der Anwalt die tatsächliche Vermutung der Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung erschüttern kann. An den sehr hohen Anforderungen der Leitentscheidung BGHZ 162, 98 ff. ("ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände") kann möglicherweise nicht in vollem Umfang festgehalten werden.
3 Anmerkung
Steine statt Brot oder: Der Gerichtssaal wird zum Spielkasino
Rechtsanwälte und ihre Mandanten sind wahrlich nicht zu beneiden. Zwar mag es schon in der Vergangenheit schwierig gewesen sein, die von den Mandanten – nachvollziehbar – gewünschten Rechtsprognosen einigermaßen sicher abzugeben. Was wir in der Rspr. in den letzten Jahren allerdings erleben, macht Voraussagen fast unmöglich. Nicht einmal der Rechtsanwalt selbst kann sicher sein, ob die von ihm getroffene Vergütungsvereinbarung nun gerichtsfest ist oder nicht.
Die viel kritisierte Entscheidung des BGH vom 27.1.2005 – derzeit auf dem Prüfstand des BVerfG – mag so etwas wie Rechtssicherheit gewollt haben, in der Praxis erwies sie sich als Katastrophe, insbesondere für Strafverteidiger. Das OLG Hamm hatte den bemerkenswerten und begrüßenswerten Versuch unternommen – allerdings entgegen dem Wortlaut der Entscheidung des BGH – Zeithonorare von der "fünffachen Kappungsgrenze" auszunehmen. Dieses Törchen ist nunmehr wieder geschlossen worden.
Aller Kritik zum Trotz hält der BGH vom Grundsatz her an der wenig nachvollziehbaren Beurteilung fest, die Überschreitung der gesetzlichen (Höchst-)Gebühr begründe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch sei und das Mäßigungsgebot verletze. Erneut wird die Vertragsfreiheit autonomer Vertragsparteien in wenig nachvollziehbarem Maße eingeschränkt und erneut werden Überlegungen angestellt, die die Wirklichkeit in der Strafverteidigerpraxis nicht annähernd wiedergeben. Strafverfahren sind heute in den meisten Fällen derart komplex, dass bereits die "Grobdurchsicht" von Fallakten einen Zeitaufwand in Anspruch nimmt, dass das Fünffache der gesetzlichen Vergütung schon bei bescheidenen Stundenhonoraren unterhalb von 250,00 EUR problemlos überschritten wird. Zu diesem Zeitpunkt hat die eigentliche Verteidigung oftmals noch nicht einmal angefangen. Warum es grundsätzlich Mandanten nicht zugemutet werden kann, die verantwortungsvolle, schwierige und zeitaufwendige Arbeit von Verteidigern nach freier Vereinbarung zu honorieren, erschließt sich dabei nicht wirklich.
Wohlgemerkt, hierbei soll nicht verschwiegen werden, dass es bei Abrechnungen nach Vergütungsvereinbarungen auch zu Missbrauchstatbeständen in erheblichem Umfange kommt. Hier ist sicherlich die Rspr. aufgerufen, zu korrigieren und "nachzujustieren". Re...