RVG VV Nr. 2300, Vorbem. 3 Abs. 4; ZPO § 91 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2
Leitsatz
Ist die Vertretung durch verschiedene Rechtsanwälte für die vorprozessuale Tätigkeit einerseits und das gerichtliche Verfahren andererseits zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, sind deshalb dadurch bedingte Mehraufwendungen nicht zu erstatten.
AG Nürtingen, Beschl. v. 24.2.2010–42 C 1524/09
Sachverhalt
Die Klägerin machte im Klageverfahren vorgerichtliche Anwaltskosten als Nebenkosten geltend. Diese wurden antragsgemäß in Höhe von 99,75 EUR (0,75-Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV) im Urteil tituliert.
Die Klägerin war vorprozessual noch von einem anderen Rechtsanwalt vertreten worden.
Im Verfahren beantragte die Klägerin, die Kosten des Verfahrens festzusetzen. Darin enthalten war eine 1,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV.
Die Rechtspflegerin setzte die Verfahrensgebühr fest, zog aber die Hälfte der vorgerichtlich entstandenen und titulierten Geschäftsgebühr ab. Hiergegen richtet sich die Erinnerung, die keinen Erfolg hatte.
Aus den Gründen
Zu Recht wurde im Rahmen der Kostenfestsetzung eine (fiktive) Anrechnung entsprechend Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorgenommen.
Die unterliegende Partei hat nicht alle entstandenen Kosten des Rechtsstreits, sondern gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Diese Beschränkung ist Ausdruck der Regulierungsfunktion des Kostenrechts, die Parteien zu ökonomischer Prozessführung anzuhalten. Jede Partei hat daher nach Treu und Glauben die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig wie möglich zu halten, soweit sich das mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt. Die aus Sicht einer wirtschaftlich denkenden Partei nicht als erforderlich erscheinenden Aufwendungen sind nicht notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und gehen zu Lasten der obsiegenden Partei. Kommen mehrere gleichwertige Maßnahmen in Betracht, ist grundsätzlich die kostengünstigste zu wählen (vgl. Giebel, in: MünchKomm, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rn 38 und Herget, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 91 Rn 12 jeweils m. w. Nachw.).
§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO, wonach die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder ein Wechsel eintreten musste, betrifft zwar grundsätzlich nur den Anwaltswechsel während des gerichtlichen Verfahrens (OLG Koblenz, v. 20.8.2008–14 W 524/08). Die Norm ist aber Ausdruck des allgemeinen Wirtschaftlichkeitsprinzips des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei der Beurteilung, welche Aufwendungen notwendig sind, kann der Rechtsgedanke des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO daher berücksichtigt werden.
Ist die Vertretung durch verschiedene Rechtsanwälte für die vorprozessuale Tätigkeit einerseits und das gerichtliche Verfahren andererseits zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, sind deshalb dadurch bedingte Mehraufwendungen nicht notwendig und im Rahmen des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht zu erstatten.
Weil Vorbem. 3 Abs. 4 VV grundsätzlich nur anwendbar ist, wenn die Partei vorprozessual von demselben Rechtsanwalt vertreten wird (AG Saarbrücken NJW-RR 2008, 1669), mindert sich in diesem Fall zwar die Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten nicht um die hälftige Geschäftsgebühr. Im Rahmen des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und der Frage, welche Kosten von der unterliegenden Partei zu erstatten sind, ist jedoch eine fiktive Anrechnung vorzunehmen. Eine wirtschaftlich denkende Partei hätte angesichts der höheren Kosten keinen anderen Rechtsanwalt mit der Prozessführung betraut, sofern nicht andere gewichtige Gründe den Wechsel erfordern. Ob es zu einer fiktiven Anrechnung kommt, hängt somit von den Umständen im Einzelfall ab.
Vorliegend wurden von der Klägerin keinerlei Gründe für den Anwaltswechsel vorgetragen. Es ist somit nicht ersichtlich, ob und weshalb der Wechsel notwendig war. Die fiktive Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr ist deshalb zu Recht erfolgt.
Im Übrigen erkennt auch das OLG Koblenz (a.a.O.) die Möglichkeit der fiktiven Anrechnung an, nämlich in Fällen, in denen die Partei ihre gerichtliche Vertretung offensichtlich ohne jedes Eigeninteresse in verschiedene Hände gelegt hat. Weil die Klägerin keinerlei Gründe für den Wechsel der Vertretung vorgetragen hat, müsste selbst nach dieser Rspr. eine Anrechnung erfolgen.
Anmerkung
Die Entscheidung ist falsch. § 91 ZPO schließt nur die Mehrkosten eines zweiten Anwalts innerhalb des gerichtlichen Verfahrens aus. Eine Partei ist dagegen nicht gehindert, mit Beginn eines neuen Verfahrensabschnitts einen anderen Anwalt zu beauftragen, selbst wenn dadurch eine Anrechnung verloren geht. Zutreffend daher OLG Köln, OLG München und insbesondere OLG Koblenz.