BGB § 1666 RVG VV Anm. Abs. 5 zu Nr. 1000
Leitsatz
Die Festsetzung einer Einigungsgebühr kommt in Sorgerechtsverfahren nach § 1666 BGB auch nach der Ergänzung der Anm. Abs. 5 zu Nr. 1000 VV nicht in Betracht.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.3.2011 – 8 WF 27/11
1 Sachverhalt
Das auf Antrag des Kreisjugendamtes eingeleitete Verfahren betraf Maßnahmen zur Beseitigung einer Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB.
Der Kindesmutter/Antragsgegnerin wurde Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts zu den Bedingungen eines im Bezirk des Verfahrensgerichts ansässigen Anwalts bewilligt.
In der Sitzung schlug das FamG vor, dass die Antragsgegnerin dem Jugendamt eine Vollmacht erteilt hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge einschließlich des stationären Aufenthaltes in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie eine Vollmacht in schulischen Angelegenheiten einschließlich der Unterbringung in einer Tagesgruppe. Die Antragsgegnerin erklärte sich hiermit einverstanden und gab eine entsprechende Erklärung zur Aufnahme in das Sitzungsprotokoll ab, wobei sie die Vollmacht als jederzeit widerruflich bezeichnete. Ebenfalls hörte die Familienrichterin das Kind persönlich an. Maßnahmen nach § 1666 BGB traf die Familienrichterin in der Folgezeit nicht, sondern erließ einen Beschluss, wonach Gerichtskosten nicht erhoben und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden.
Hiernach beantragte der beigeordnete Anwalt, die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung einschließlich einer Einigungsgebühr festzusetzen. Die Urkundsbeamtin setzte die Vergütung unter Absetzung der Einigungsgebühr fest. Dagegen legte der Rechtsanwalt Erinnerung ein, mit welcher er sich gegen die Absetzung der Einigungsgebühr wandte.
Das FamG wies die Erinnerung zurück.
Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Wie der Senat bereits zu der bis 31.8.2009 geltenden Rechtslage entschieden hat (OLG Stuttgart FamRZ 2007, 1832), kann auch in Sorgerechtsverfahren grundsätzlich eine Einigungsgebühr entstehen. Dies hat der Gesetzgeber mit der Ergänzung der Anm. Abs. 5 zu Nr. 1000 Abs. 5 VV durch S. 3 mit Wirkung ab 1.9.2009 bestätigt. Dennoch kommt die Festsetzung einer Einigungsgebühr in Verfahren nach § 1666 BGB weiterhin nicht in Betracht (OLG Koblenz FamRZ 2011, 245; OLG Celle FamRZ 2011, 246). Im Unterschied zu Sorgerechtsverfahren nach §§ 1671, 1672 BGB, in welchen die Kindeseltern bei Abschluss einer Vereinbarung im Rahmen von § 156 Abs. 1 FamFG in Ausübung der durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eingeräumten Befugnisse handeln, geht es in Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB um die Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes über das Kindeswohl nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG. Dieses ist den Jugendämtern sowie den Familiengerichten übertragen. Zum Abschluss von Verträgen i.S.v. Anm. Abs. 1 zu Nr. 1000 VV bezüglich der Ausübung des staatlichen Wächteramtes über das Kindeswohl ist weder das Jugendamt noch das FamG befugt. Ein solcher ist im vorliegenden Fall auch nicht abgeschlossen worden. Sollten sich neue Anhaltspunkte ergeben, dass das Kindeswohl trotz der erteilten Vollmachten oder nach deren Widerruf gefährdet ist i.S.v. § 1666 BGB, so wäre das vorliegende Verfahren von Amts wegen und ohne Bindung an etwa getroffene Absprachen wieder aufzunehmen oder ein neues Verfahren einzuleiten.
Dieser Unterschied zwischen den verschiedenen Sorgerechtsverfahren wird in der vom Beschwerdeführer herangezogenen Kommentarstelle (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., VV 1003, 1004 Rn 36) übersehen.
3 Anmerkung
Die eigenen Fehler erkennt man am besten mit den Augen anderer!
Dazu Folgendes:
1. Die Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den ein Streit über die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird (Anm. Abs. 1 S. 1 1. Hs. zu Nr. 1000 VV).
2. Die Gebühr entsteht nicht in Ehesachen und in Lebenspartnerschaftssachen (Anm. Abs. 5 S. 1 zu Nr. 1000 VV).
3. In Kindschaftssachen ist Abs. 1 S. 1 auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, entsprechend anzuwenden (Anm. Abs. 5 S. 3 zu Nr. 1000 VV).
4. In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt (Anm. Abs. 2 zu Nr. 1003 VV).
Eindeutiger und verständlicher geht es kaum. Was aber muss der Gesetzgeber tun, damit Gerichte die durch das FGG-ReformG geänderten Vorschriften verstehen und anzuwenden lernen? Und: Welche weiteren Hilfestellungen muss er geben, damit Richter in die Lage versetzt sind, die Intention einer Gesetzesänderung abstrahieren zu können, auch wenn sie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift bereits eindeutig ergibt?
Zu 1: In dem vom OLG entschiedenen Verfahren bestand Streit über die Ausübung der elterlichen Sorge zwischen Kindes...