RVG VV Nrn. 4100, 4118 RVG §§ 33, 56 StPO § 56

Leitsatz

Die Tätigkeit eines als Pflichtverteidiger bestellten "Terminsvertreters" für einen Hauptverhandlungstag ist nicht nur mit der Terminsgebühr zu vergüten. Ihm stehen sämtliche im Einzelfall verwirklichte Gebührentatbestände nach Teil 4 Abschnitt 1 VV zu.

OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2010 – 2 Ws 129/10

1 Sachverhalt

Dem früheren Angeklagten H. war Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Im Hauptverhandlungstermin vor dem LG B. am 28.2.2008 erschien Rechtsanwalt B. nicht. Rechtsanwalt Dr. K. wurde auf seinen Antrag mit Beschluss des Vorsitzenden "für den heutigen Verhandlungstag dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet". Mit Schriftsatz vom selben Tage beantragte Rechtsanwalt Dr. K. die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren auf den Betrag von 942,48 EUR, der sich zusammensetzt aus der Terminsgebühr für den 28.2.2008, der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV (132,00 EUR) sowie der Verfahrensgebühr nach Nr. 4118 VV (264,00 EUR). Die Rechtspflegerin hat die Kosten auf 447,44 EUR festgesetzt; die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr sind mit der Begründung abgesetzt worden, Rechtsanwalt Dr. K. sei nur für den ansonsten tätigen, am Verhandlungstag verhinderten Pflichtverteidiger tätig gewesen und habe sonstige Tätigkeiten nicht entfaltet. Dieser Auffassung hat sich der Kammervorsitzende angeschlossen und als Einzelrichter die Erinnerung zurückgewiesen. Dagegen hat Rechtsanwalt Dr. K. Beschwerde eingelegt, zu deren Begründung er ausführt, der für einen Verhandlungstag bestellte Pflichtverteidiger sei ebenso Verteidiger wie der im Übrigen und durchgängig beigeordnete Verteidiger. Die zeitliche Beschränkung seiner Beiordnung führe daher nicht zum Wegfall der Grund- und Verfahrensgebühr, von deren Entstehung beim Anfall der Terminsgebühr vielmehr zwangsläufig auszugehen sei. Er habe sich in den Fall eingearbeitet und mit dem Angeklagten eine Besprechung geführt, u.a. zur Abklärung, ob dieser mit seiner vertretungsweisen Beiordnung einverstanden sei; anschließend habe er in einer weiteren Besprechung Rechtsanwalt B. und den als Wahlverteidiger tätigen Rechtsanwalt R. über das Terminsergebnis informiert.

Der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse hat rechtliches Gehör erhalten und in seiner Stellungnahme die angefochtene Entscheidung verteidigt. Der Einzelrichter des Senats hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.

2 Aus den Gründen

Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache führt sie zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zu einer teilweisen Abänderung des Festsetzungsbeschlusses der Rechtspflegerin. Dem Beschwerdeführer steht über die bereits festgesetzte Terminsgebühr hinaus auch die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV i.H.v. 132,00 EUR zu.

Die vom Senat bisher nicht entschiedene Frage, wie die Tätigkeit des für einen Verhandlungstag als sog. "Terminsvertreter" beigeordneten Pflichtverteidigers abzurechnen ist, ist in Rspr. u. Lit. umstritten. Die Problemstellung geht im Wesentlichen dahin, ob dem "Terminsvertreter" lediglich die Terminsgebühr zusteht (so OLG Hamm 28.11.2006 – 3 Ws 569/06; KG 29.6.2005 – 5 Ws 164/05 = NStZ-RR 2005, 327 u. 8.12.2006 – 3 Ws 353/06; OLG Celle 25.8.2006 – 1 Ws 423/06; 10.10.2006 – 2 Ws 258/06 = StraFo 2006, 471; 19.12.2008 – 2 Ws 365/08 = NStZ-RR 2009, 158; LG Düsseldorf 4.10.2007 – 14 Qs 106/07; im Schrifttum: Hartmann, KostG, 39. Aufl., VV 4100, 4101 Rn 2; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., VV 4100, 4101 Rn 10) oder sämtliche im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV (so OLG Düsseldorf, 29.10.2008 – III-1 Ws 318/08; OLG Hamm, 23.3.2006 – 3 Ws 586/05; OLG München, 23.10.2008 – 4 Ws 140/08 = NStZ-RR 2009, 32; OLG Karlsruhe, 16.7.2008 – 3 Ws 281/08; im Schrifttum: Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 18. Aufl., VV 4100, 4101 Rn 9; Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Nr. 4100 VV Rn 6 ff.; Schneider, AnwK-RVG, 4. Aufl., VV 4100-4101 Rn 15; P. Kotz, StraFo 2008, 412 ff. u. NStZ-RR 2010, 36, 38).

Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Die Begründung der gegenteiligen Auffassung, dass der Verteidiger in derartigen Fällen lediglich als Vertreter des ansonsten bestellten Pflichtverteidigers beigeordnet werde mit der gebührenrechtlichen Folge, dass die Gebühren nur einmal abgerechnet werden könnten, vermag nicht zu überzeugen. Es greift zu kurz, maßgeblich auf den Aspekt der Vertretung abzustellen. Das wird der Eigenständigkeit des Beiordnungsverhältnisses nicht gerecht und nimmt die Rechte des Angeklagten auf effektive, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Verteidigung nicht ausreichend in den Blick. Auch im vorliegenden Verfahren ist die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. K. ohne inhaltliche Beschränkung vorgenommen, ihm ist ein voller Verteidigungsauftrag erteilt worden.

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