RVG §§ 44 Abs. 1 S. 1, 15 Abs. 2, 16 Nr. 4

Leitsatz

Wird von dem AG ein Beratungshilfeschein für die Angelegenheiten "Getrenntleben, Scheidung mit Folgesachen" erteilt, sind bei einer anschließenden umfassenden Beratung durch einen Rechtsanwalt die vier Komplexe Scheidung, Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu Kindern, Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Haushalt sowie sonstige finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht und Vermögensauseinandersetzung), jeweils als gesonderte gebührenrechtliche Angelegenheiten zu behandeln, so dass die Beratungsgebühr für insgesamt bis zu vier Angelegenheiten geltend gemacht werden kann.

OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.3.2011 – 11 WF 1590/10

1 Sachverhalt

Das AG hatte der Rechtsuchenden einen Beratungshilfeschein für die Angelegenheiten "Getrenntleben, Scheidung mit Folgesachen" erteilt.

Die Rechtsuchende hat sich in der Folgezeit von Rechtsanwalt R beraten lassen und ihn mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt. In Ausübung dieses Auftrages hat sich Rechtsanwalt R schriftlich an den Ehemann der Beteiligten gewandt.

Die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfasste die Scheidung und die Folgesachen Versorgungsausgleich, Sorgerecht, Umgangsrecht, Unterhalt, Kindesunterhalt, Ehewohnung, Hausrat, Zugewinn, Vermögensauseinandersetzung und Trennungsunterhalt.

Mit Antrag v. 20.1.2010 hat Rechtsanwalt R eine Vergütung aus der Staatskasse i.H.v. insgesamt 107,10 EUR beantragt.

Von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des AG Schwabach ist die zu erstattende Vergütung auf 99,96 EUR festgesetzt worden. Dabei hat der Rechtspfleger folgende Beträge berücksichtigt:

 
Geschäftsgebühr, Nr. 2503 VV: 70,00 EUR
Pauschale, Nr. 7002 VV 14,00 EUR
Summe 84,00 EUR
Mehrwertsteuer 19 % 15,96 EUR
Summe 99,96 EUR

Mit Schriftsatz v. 21.4.2010 hat Rechtsanwalt R beim AG Schwabach zehn weitere Anträge auf Festsetzung von Beratungshilfevergütung über jeweils 107,10 EUR für seine Tätigkeiten für Frau A S in folgenden Angelegenheiten eingereicht:

  Folgesache Ehewohnung
  Folgesache Hausrat
  Folgesache elterliche Sorge
  Folgesache Umgangsrecht
  Folgesache Kindesunterhalt R
  Folgesache Kindesunterhalt J
  Folgesache Trennungsunterhalt
  Folgesache nachehelicher Unterhalt
  Güterrecht
  Vermögensauseinandersetzung

Der Urkundsbeamte bei dem AG Schwabach hat den Antrag auf Festsetzung einer weiteren Vergütung zurückgewiesen.

Die hiergegen von Rechtsanwalt R eingelegte Erinnerung hat das AG – FamG – als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss hat Rechtsanwalt R Beschwerde eingelegt, welche er im Wesentlichen damit begründet, dass jede Angelegenheit, in welcher er im Rahmen der Beratungshilfe tätig geworden sei, kostenrechtlich als eine selbstständige Angelegenheit zu behandeln sei, weshalb ihm für jede Angelegenheit eine Beratungshilfegebühr zustehe.

Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Bezirksrevisor hatte bereits im Festsetzungsverfahren Stellung genommen und dabei die Auffassung vertreten, dass es sich bei einer Beratung zu den rechtlichen Problemen, die sich aus der Trennung und Scheidung vom Ehegatten ergeben, für den Bereich der Beratungshilfe um eine kostenrechtliche Angelegenheit handele.

2 Aus den Gründen

Die Beschwerde ist gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG statthaft und zulässig. Der Beschwerdewert von 200,00 EUR ist erreicht, § 33 Abs. 3 S. 1 RVG. Die Beschwerde ist auch innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG) eingelegt worden.

Das OLG ist als Beschwerdegericht gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG zuständig, weil die angegriffene Entscheidung von dem AG – FamG – erlassen worden ist. Insoweit gilt die formelle Anknüpfung, auch wenn es sich bei dem Verfahren zur Vergütung im Rahmen der Beratungshilfe dann, wenn in einer familienrechtlichen Angelegenheit beraten wird, nicht um eine Familiensache handelt, letztlich also das FamG beim AG nicht zuständig war (vgl. Zöller, 28. Aufl., Rn 5 u. 8 zu § 119 GVG; BGH FamRZ 1984, 774; OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 713).

Gem. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet im Regelfall der Einzelrichter. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ist die Sache jedoch dem Senat übertragen worden.

In der Sache hat die Beschwerde zum Teil Erfolg. Dem Beschwerdeführer steht eine weitere Vergütung i.H.v. insgesamt 299,98 EUR zu.

Der Erfolg der Beschwerde ergibt sich allerdings nicht bereits aus der mangelnden Zuständigkeit des Familiengerichts, § 65 Abs. 4 FamFG, § 771 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Dem Beschwerdeführer steht jedoch eine weitere Vergütung aus der Staatskasse zu, weil er im Rahmen der Beratungshilfe in insgesamt vier Angelegenheiten tätig geworden ist.

Ein Rechtsanwalt, der im Rahmen der Beratungshilfe tätig wird, erhält gem. § 44 Abs. 1 S. 1 RVG eine Vergütung aus der Staatskasse. Die Höhe der Beratungsvergütung bestimmt sich nach Nrn. 2501 ff. VV. Besteht die Tätigkeit des Anwalts ausschließlich in der Beratung, entsteht eine pauschale Beratungsgebühr in Höhe von 30,00 EUR. Wird der Anwalt über die re...

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