Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl 2011, L 48, 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau G und Frau Z wegen Beitreibung einer Forderung von Frau G gegen Frau Z.
Rechtlicher Rahmen
Die Erwägungsgründe 19 und 20 der Richtlinie 2011/7 lauten:
"(19) Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. Eine Entschädigung für die Beitreibungskosten sollte unbeschadet nationaler Bestimmungen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger eine Entschädigung für einen durch den Zahlungsverzug eines Schuldners entstandenen zusätzlichen Schaden zusprechen kann, festgelegt werden."
(20) Neben einem Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrages für interne Beitreibungskosten sollte der Gläubiger auch Anspruch auf Ersatz der übrigen, durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten haben. Zu diesen Kosten sollten insbesondere Kosten zählen, die dem Gläubiger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“
Art. 6 ("Entschädigung für Beitreibungskosten") der Richtlinie sieht vor:
"(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Fällen, in denen gem. Art. 3 oder Art. 4 im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 [EUR] hat."
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der in Abs. 1 genannte Pauschalbetrag ohne Mahnung und als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers zu zahlen ist.
(3) Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem in Abs. 1 genannten Pauschalbetrag einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten. Zu diesen Kosten können auch Ausgaben zählen, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Frau G begehrt die Verurteilung von Frau Z, ihrer Schuldnerin, zur Zahlung ihrer Hauptforderung nebst Zinsen sowie weiterer 112,00 EUR. Dieser Betrag setzt sich aus einer Pauschale von 40,00 EUR gem. § 288 Abs. 5 S. 1 BGB sowie Rechtsanwaltskosten i.H.v. 72,00 EUR zusammen.
Nachdem das AG Eilenburg (Deutschland) dieser Klage mit Ausnahme des Pauschalbetrags von 40.00 EUR stattgegeben hatte, legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen das ergangene Urteil Berufung zum LG Leipzig (Deutschland) ein. Dieses wies die Berufung zurück und führte aus, dass der Pauschalbetrag nach § 288 Abs. 5 S. 3 BGB auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten anzurechnen sei.
Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht Revision ein.
Das vorlegende Gericht ist erstens der Auffassung, dass der Pauschalbetrag von 40,00 EUR, der der Klägerin gem. § 288 Abs. 5 S. 1 BGB zustehe, nach § 288 Abs. 5 S. 3 BGB auf die ihr bei der Verfolgung ihres Anspruchs vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten von 72 EUR anzurechnen sei.
Gleichwohl stellt es sich zweitens die Frage, ob diese Auslegung von § 288 BGB mit Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7 vereinbar ist.
Insoweit neigt das vorlegende Gericht zu der Ansicht, dass auch Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7 eine solche Anrechnung der Pauschale vorsehe, weist aber darauf hin, dass die Erwägungsgründe 19 und 20 der Richtlinie 2011/7 zu einer gegenteiligen Auslegung führen könnten. Des Weiteren könne der Pauschalbetrag im Fall seiner Anrechnung auf die für die Forderungsbeitreibung entstandenen Rechtsanwaltskosten weitgehend oder sogar vollständig aufgezehrt werden mit der Folge, dass der Gläubiger im Ergebnis nur einen Betrag i.H.d. vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen könne.
Unter diesen Umständen hat der BGH (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen, dass der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie genannte Pauschalbetrag von 40,00 EUR auf externe Rechtsverfolgungskosten anzurechnen ist, die infolge des Zahlungsverzugs des Schuldners durch die vorprozessuale Beauftragung eines Rechtsanwalts entstanden und daher nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie zu ersetzen sind?
Zu...