RVG VV Nr. 1008
Leitsatz
- Verstirbt während des laufenden Rechtsstreits die Partei und führt der Anwalt für die Erben den Rechtsstreit fort, erhöht sich die Verfahrensgebühr für jeden Erben um 0,3.
- Erblasser und Erbe werden dabei als gesonderte Auftraggeber gezählt.
LG Karlsruhe, Beschl. v. 1.4.2019 – 3 O 28/13
1 Sachverhalt
Der Anwalt war zu Lebzeiten des Erblassers von diesem beauftragt worden, eine Klage einzureichen. Während des Verfahrens starb der Erblasser und wurde durch seine drei Kinder beerbt. Für diese setzte der Anwalt dann den Rechtsstreit fort. Nach Abschluss des Verfahrens beantragten die Kläger die Festsetzung ihrer Kosten, darunter einer 2,2-Verfahrensgebühr. Die Höhe der Gebühr begründeten sie damit, dass drei Erben in den Rechtsstreit eingetreten seien, sodass insgesamt von vier Auftraggeber auszugehen sei.
Das AG hat antragsgemäß festgesetzt.
2 Aus den Gründen
Die 0,9-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV für insgesamt vier Auftraggeber ist nicht zu beanstanden.
Eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV entsteht für die Vertretung mehrerer Auftraggeber in derselben Angelegenheit.
Vertritt der Rechtsanwalt, der zunächst den Erblasser in einem Verfahren vertreten hatte, nach dem Erbfall den Erben, ist der Erbe ein zusätzlicher Auftraggeber neben dem Erblasser. Dass der Rechtsanwalt zu keinem Zeitpunkt, beide Auftraggeber nebeneinander vertreten hat, schadet nicht, nachdem nach neuer h.M. eine gleichzeitige Vertretung nicht mehr Voraussetzung für einen Mehrvertretungszuschlag ist. Die Rspr. setzt diesen Fall dem Parteiwechsel gleich. Hierzu hat der BGH (NJW 2007, 769 [= AGS 2006, 583]) entschieden, dass im Fall eines Parteiwechsels für den Anwalt der wechselnden Partei insgesamt nur eine einzige Angelegenheit vorliegt. Durch den Parteiwechsel entsteht für ihn jedoch eine Auftraggebermehrheit, sodass sich für den Anwalt die Geschäfts- bzw. die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV erhöht. Zwar handelt es sich beim Eintritt eines Erben in ein laufendes Mandat nicht um einen Parteiwechsel, sondern um eine Rechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB); ungeachtet dessen ist die neuere Rspr. jedoch der Auffassung, dass beide Fälle gebührenrechtlich gleich zu behandeln seien.
Ist in der zugrundeliegenden Angelegenheit nach Wertgebühren abzurechnen, erhöht sich der Gebührensatz der Verfahrensgebühr um 0,3 je weiteren Auftraggeber, Erster Auftraggeber ist insoweit der Erblasser. Für jeden Erben ist dann eine Erhöhung von 0,3 zu berücksichtigen, höchstens jedoch um 2,0 (s. OLG Köln ZEV 2014, 421 [= AGS 2014, 451]; LG Aachen BeckRS 2014, 19086; BeckRS 2014, 20064; AG Hannover BeckRS 2017, 129669; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl., 2017, Nr. 1008 VV Rn 76; Schneider, NJW-Spezial 2019, 27).
Ursprünglicher Auftraggeber war vorliegend der Erblasser. Für die drei den Streit fortführenden Erben ist der Ansatz einer 0,9-Erhöhungsgebühr als zusätzliche Auftraggeber daher nicht zu beanstanden.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Mathias May, Karlsruhe
3 Anmerkung
a) Verstirbt der Auftraggeber des Rechtsanwalts, ohne dass es zu einer weiteren Beauftragung durch Rechtsnachfolger kommt, so hat der Anwalt weiterhin nur einen Vertragspartner. Die Vorschrift der Nr. 1008 VV ist nicht anwendbar, auch wenn der Rechtsanwalt nunmehr die Interessen mehrerer Erben wahrnimmt. Diese Fallgestaltung findet sich aber i.d.R. nur dort, wo die Erben unbekannt sind oder aus sonstigen Gründen keinen Kontakt zum Anwalt haben.
Sind hingegen mindestens zwei Erben mit einer Fortsetzung der Vertretung des Nachlasses durch den Anwalt einverstanden, so wird darin jedenfalls seine schlüssige Beauftragung zu sehen sein, nunmehr die Interessen der Erben zu vertreten. Dann hat er mehrere Auftraggeber. Es kommt nicht auf die Anzahl der Geschäftsbesorgungsverträge an, damit es zu einer Erhöhung der Geschäfts- oder der Verfahrensgebühr kommt, sondern ausschließlich darauf, für wie viele Auftraggeber/Erben der Rechtsanwalt sodann tätig wird. Die Erben müssen den Auftrag gegenüber dem Rechtsanwalt auch nicht erneuern. Es kommt auch nicht darauf an, ob für den Anwalt hierdurch Mehrarbeit anfällt.
b) Der Anwalt vertritt die Erben auch gemeinschaftlich und nicht etwa nur den Nachlass als Sondervermögen. Zwar liegt hier ebenso wie bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine gesamthänderische Bindung vor. Es fehlt jedoch an der zielgerichteten Bündelung von Einzelinteressen zum Wohle eines übergeordneten Ganzen. Die Erbengemeinschaft ist keine Vereinigung von Personen, die sich aus eigenem Antrieb zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks (§ 705 BGB) zusammengefunden haben. Typischerweise hat der Anwalt es nicht mit einem homogenen Gebilde und klaren Willensbildungskonzept zu tun, sondern er sieht sich den jeweiligen Einzelinteressen der Erben ausgesetzt.
Ausnahmsweise kann allerdings auch die anwaltliche Vertretung einer Erbengemeinschaft nicht als eine solche der einzelnen Erben, sondern als eine Vertretung der Gesamtheit (Einzelvertretung) anzusehen sein, wenn etwa das Unternehmen des Erblassers wie ein selbstständiges Re...