SGG §§ 96, 101 Abs. 2; RVG VV Nr. 3106
Leitsatz
- Ein Anerkenntnis i.S.v. § 101 Abs. 2 SGG stellt eine reine Prozesserklärung dar, die gegenüber dem Gericht abzugeben ist.
- Erlässt der Beklagte während des Klageverfahrens einen Abhilfebescheid, liegt darin kein (konkludentes) Anerkenntnis.
SG Marburg, Beschl. v. 20.5.2019 – S 10 SF 62/17 E
1 Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung für das Ausgangsverfahren vor dem SG. Streitig ist die Höhe der Verfahrensgebühr und der Anfall einer (fiktiven) Terminsgebühr.
In dem genannten Ausgangsverfahren wurden die damaligen Kläger, eine aus zwei Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft, von dem Erinnerungsführer anwaltlich vertreten. Mit der Klageschrift beantragten sie zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Erinnerungsführers. Mit Beschluss des Gerichts wurde dem PKH-Antrag vollumfänglich stattgegeben.
Streitgegenstand des genannten Ausgangsverfahrens waren Bescheide des zuständigen Grundsicherungsträgers, mit denen dieser den Klägern nachträglich im Überprüfungsverfahren höhere Leistungen für die monatlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zuerkannt hatte. Eine Verzinsung dieser Nachzahlung hatte er unterlassen. Mit der Klage wurden diese Zinsen geltend gemacht. Dafür bedürfe es keines gesonderten Verwaltungsverfahrens; der Beklagte des Ausgangsverfahrens habe die Zahlung konkludent abgelehnt. Der Zinsanspruch stehe den Klägern aber zu, weil für den Fristbeginn nicht auf den Überprüfungsantrag, sondern auf den ursprünglichen Leistungsantrag abzustellen sei. Mit Schriftsatz v. 30.6.2017 beantragte der Beklagte des Ausgangsverfahrens Klageabweisung. Zugleich übersandte er seinen Abhilfebescheid v. 19.6.2017, mit dem er den Klägern Zinsen i.H.v. 4,77 EUR bewilligt hatte. Daraufhin nahmen die Kläger des Ausgangsverfahrens "das Anerkenntnis" an und erklärten den Rechtsstreit für erledigt.
Hiernach beantragte der Erinnerungsführer Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse für das Ausgangsverfahren i.H.v. insgesamt 787,78 EUR festzusetzen. Im Einzelnen machte er folgende Positionen geltend:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
300,00 EUR |
Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV |
90,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
252,00 EUR |
Post- und Telekommunikationsentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
125,78 EUR |
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wich von dem Festsetzungsantrag des Erinnerungsführers ab und setzte insgesamt einen Vergütungsanspruch i.H.v. 92,82 EUR fest. Dabei legte sie folgende Gebühren zugrunde:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
50,00 EUR |
Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV |
15,00 EUR |
Post- und Telekommunikationsentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
13,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 V |
14,82 EUR |
Zur Begründung führte sie aus, die Verfahrensgebühr sei auf die Mindestgebühr zu verringern. Im Ausgangsverfahren sei die anwaltliche Tätigkeit in Umfang und Schwierigkeit als unterdurchschnittlich zu bewerten. Die Bedeutung für die Kläger habe an der untersten Grenze gelegen. Eine Terminsgebühr sei nicht entstanden, weil das Ausgangsverfahren nicht durch angenommenes Anerkenntnis geendet habe. Einem Aktenvermerk sei zu entnehmen, dass der Erinnerungsführer sein Einverständnis mit der Interpretation seiner Prozesserklärung als Klagerücknahme erklärt habe.
Gegen die PKH-Festsetzung hat der Erinnerungsführer Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er auf die ungeklärte Rechtslage bezüglich des im Ausgangsverfahren streitigen Zinsanspruchs hingewiesen. Zudem sei der Erlass eines Abhilfebescheids im Klageverfahren als Anerkenntnis auszulegen, sodass eine fiktive Terminsgebühr entstanden sei.
Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache dem Richter vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung ist zulässig. Der Erinnerungsführer ist den Klägern des Ausgangsverfahrens durch Beschluss des Gerichts beigeordnet worden und daher zur Erhebung des Rechtsbehelfs berechtigt.
Die Erinnerung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Die angegriffene Vergütungsfestsetzung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist abzuändern, da sie die Vergütung des Erinnerungsführers zu niedrig festsetzt. Dem Erinnerungsführer steht gegen die Staatskasse für seine Tätigkeit als beigeordneter Rechtsanwalt in dem Verfahren vor dem SG ein Vergütungsanspruch i.H.v. insgesamt 178,50 EUR zu. Zwar hat er in seinem Festsetzungsantrag die Höhe der Gebühren für das Ausgangsverfahren nicht in rechtmäßiger und billiger Weise bestimmt. Sie sind aber in größerer Höhe entstanden, als die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle meint.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Bei dem Ausgangsverfahren han...