RVG § 14 Abs. 1; RVG VV Nrn. 2300, 1000

Leitsatz

  1. Hat die über einen langen Zeitraum zu führende Korrespondenz mit dem gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer einen Raum eingenommen, der das bei einem gewöhnlichen Verkehrsunfall Übliche übersteigt, so ist zumindest der Ansatz einer 1,5-Geschäftsgebühr angemessen. Die hier angesetzte 1,8-Gebühr hält sich dann noch im Rahmen des dem Rechtsanwalt zuzubilligenden Ermessensspielraums von 20 %.
  2. Maßgebend für den Gegenstandswert der Einigungsgebühr ist nicht der Betrag oder die Leistung, auf die sich die Parteien geeinigt oder verglichen haben, sondern der Ausgangswert derjenigen Gegenstände, über die eine Einigung erzielt worden ist.

AG Tettnang, Urt. v. 31.1.2019 – 8 C 853/18

1 Sachverhalt

Der Kläger macht mit der Klage von dem beklagten Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers die Bezahlung restlicher vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach einem Verkehrsunfall geltend.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach zu vollständigem Ersatz seines Schadens verpflichtet ist.

Der Kläger beauftragte seine Prozessbevollmächtigten mit der Regulierung des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens. Es erfolgte in der Folgezeit eine umfangreiche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Klageschrift und den Anlagen zur Klageschrift verwiesen.

Der Kläger erklärte sich später entsprechend einem vorangegangenen Angebot der Beklagten bei Auszahlung einer weiteren Entschädigungssumme von 7.500,00 EUR zur Gesamtabfindung bereit. Durch die Einigung wurden – nach bereits erfolgten Teilzahlungen der Beklagten – die noch vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf den Personenschaden erledigt.

Die Summe der regulierten Schadensersatzleistungen betrug 33.019,68 EUR. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über eine Gesamtabfindungserklärung befand sich unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen ein Restbetrag i.H.v. knapp 26.000,00 EUR in Streit.

Der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Kläger beziffert sein Klagebegehren wie folgt:

 
Praxis-Beispiel
 
1,8-Geschäftsgebühr aus Geschäftswert 33,019,68 EUR 1.688,40 EUR
1,5-Einigungsgebühr aus Geschäftswert 26.057,00 EUR 1.294,50 EUR
Pauschale 20,00 EUR
ergibt 3.002,90 EUR
19 % Mehrwertsteuer 570,55 EUR
Gesamt 3.573,45 EUR
./. Zahlungen 1.029,35 EUR
  154,70 EUR
  831,69 EUR
Verbleibt Restbetrag 1.557,71 EUR

Der Kläger trägt vor, die Geschäftsgebühr sei mit einer 1,8-Gebühr zu berechnen. Die Beklagte habe im Dezember bei ihrer Zwischenabrechnung den Ansatz einer 1,5-Gebühr für angemessen erachtet. Unter Berücksichtigung der Toleranzrechtsprechung (20 %) sei der Ansatz einer 1,8-Geschäftsgebühr nicht zu beanstanden. Die Einigungsgebühr sei aus einem Geschäftswert von 26.057,00 EUR zu berechnen. Im Rahmen des Abfindungsvergleichs hätten die Parteien sich umfassend über die kompletten Ansprüche des Geschädigten geeinigt. Es habe sich der Personenschaden, der unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen mit einem Restbetrag von knapp 26.000,00 EUR geltend gemacht worden seien. Hierauf habe die Beklagte noch eine Zahlung geleistet, nicht aber den kompletten geltend gemachten Betrag. Hinsichtlich der gesamten Personenschäden sei dann die Abfindungsvereinbarung geschlossen worden. Maßgebend sei nicht der Betrag oder die Leistung, auf die sich die Parteien geeinigt oder verglichen hätten, sondern der Ausgangswert derjenigen Gegenstände, übe die eine Einigung erzielt worden sei.

Die Beklagte trägt vor, die Geschäftsgebühr sei lediglich mit einer 1,3-Gebühr zu bemessen. Die Einigungsgebühr sei lediglich aus einem Geschäftswert von 7.500,00 EUR zu berechnen. Sofern außergerichtliche Zahlungen im Schadensrecht eine zu ersetzende Anwaltsgebühr auslösen, sei als Gegenstandswert der sogenannte Erledigungswert anzusetzen. Die Höhe des Erledigungswertes ergebe sich aus den geleisteten Zahlungen.

2 Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger steht aus dem Verkehrsunfall ein weiterer Anspruch auf Bezahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.557,71 EUR zu, §§ 7, 17 StVG, § 249 BGB, § 115 VVG.

Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grds. auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Der Schädiger – bzw. gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG die hier beklagte gegnerische Haftpflichtversicherung – hat dabei nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der maßgebenden Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH NJW 2011, 2509, 2510 Rn 9; 2018, 935 Rn 6). Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer, so ist der Umfang des Ersatzverlangens nur für die Abrechnung zwisch...

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