RVG VV Nr. 4108; RVG § 14
Leitsatz
- Werden miteinander verbundene Verfahren noch im Hauptverhandlungstermin getrennt, entsteht auch für das abgetrennte Verfahren eine Terminsgebühr für diesen Hauptverhandlungstag.
- Die kurze Dauer des Hauptverhandlungstermins in der abgetrennten Sache ist bei der Höhe der Gebühr zu berücksichtigen; sie kann rechtfertigen, dass nur die Mindestgebühr verdient ist.
LG Hamburg, Beschl. v. 18.5.2020 – 628 Qs 10/20
1 Sachverhalt
Gegen den Beschwerdeführer liefen mehrere Strafverfahren, jeweils im Zusammenhang mit Körperverletzungs- und Beleidigungsvorwürfen zulasten seiner von ihm getrenntlebenden Ehefrau sowie seiner Stiefkinder.
Unter dem 27.8.2018 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs von zwei in den Jahren 2014/2015 begangenen Körperverletzungen zum Nachteil seiner damals minderjährigen Stiefkinder (im Folgenden St.-Verfahren). Im Hauptverhandlungstermin vor dem AG v. 17.1.2019 wurde das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
Am 25.4.2019 erließ das AG antragsgemäß einen Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer über 40 Tagessätze. Er sollte seine von ihm getrenntlebende Ehefrau beleidigt haben (im Folgenden Beleidigungs-Verfahren). Am 7.5.2019 ließ der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen.
Am 7.6.2019 verband das AG das Beleidigungs-Verfahren mit dem führenden St.-Verfahren.
Unter dem 17.7.2019 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen vier zwischen März und Mai 2019 begangener Straftaten (Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung) zulasten seiner getrenntlebenden Ehefrau; Tatort war u.a. ein S.-Restaurant (im Folgenden S.-Verfahren).
Wegen eines Auflagenverstoßes im St.-Verfahren kam es zu einem neuen Hauptverhandlungstermin am 8.8.2019. Dort wurde auch über den Einspruch gegen den im Beleidigungs-Verfahren ergangenen Strafbefehl verhandelt. In diesem Hauptverhandlungstermin wurde beschlossen, das Beleidigungs-Verfahren abzutrennen. Anschließend wurde im Termin das St.-Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt, mit Ausnahme der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers, die er selbst trägt. Im Termin wurde die Hauptverhandlung betreffend das Beleidigungs-Verfahren ausgesetzt.
Am 16.9.2019 verband das AG das S.-Verfahren mit dem führenden Beleidigungs-Verfahren.
Im Hauptverhandlungstermin betreffend den Einspruch gegen den Strafbefehl im Beleidigungs-Verfahren sowie die Anklageschrift im S.-Verfahren wurde der Beschwerdeführer freigesprochen und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse auferlegt.
Der Beschwerdeführer beantragte Kostenfestsetzung, die jedoch nicht antragsgemäß erfolgte. Er hat gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss (KFB) sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Beträge stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:
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Beantragt |
Festgesetzt mit KFB |
Mit der sofortigen Beschwerde angegriffen |
Festsetzung auf die sofortige Beschwerde hin |
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Beleidigungs- Verfahren |
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Grundgebühr (Nr. 4100 VV) |
200,00 EUR |
130,00 EUR |
Nein – Position wird nicht weiter verfolgt |
130,00 EUR |
Verfahrensgebühr im vorbereit. Verfahren (Nr. 4104 VV) |
165,00 EUR |
0,00 EUR |
Nein – Position wird nicht weiter verfolgt |
0,00 EUR |
Verfahrensgebühr 1. Rechtszug vor AG (Nr. 4106 VV) |
165,00 EUR |
165,00 EUR |
Nein (mangels Beschwer) |
165,00 EUR |
Terminsgebühr je HV-Tag (Nr. 4108 VV) |
275,00 EUR |
0,00 EUR |
Ja i.H.v. 275,00 EUR |
70,00 EUR |
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S.-Verfahren |
> |
> |
> |
Grundgebühr (Nr. 4100 VV) |
200,00 EUR |
130,00 EUR |
Nein – Position wird nicht weiter verfolgt |
130,00 EUR |
Verfahrensgebühr im vorbereit. Verfahren (Nr. 4104 VV) |
165,00 EUR |
65,00 EUR |
Ja i.H.v. 100,00 EUR |
100,00 EUR |
Verfahrensgebühr 1. Rechtszug vor AG (Nr. 4106 VV) |
165,00 EUR |
65,00 EUR |
Ja i.H.v. 100,00 EUR |
100,00 EUR |
Terminsgebühr je HV-Tag (Nr. 4108 VV) |
275,00 EUR |
275,00 EUR |
Nein (mangels Beschwer) |
275,00 EUR |
Telekom.- und Postpauschale (Nr. 7002 VV) |
20,00 EUR |
20,00 EUR |
Nein (mangels Beschwer) |
20,00 EUR |
Kopierkosten (Nr. 7000 VV) |
39,25 EUR |
39,25 EUR |
Nein (mangels Beschwer) |
39,25 EUR |
USt. (Nr. 7008 VV) |
317,16 EUR |
168,95 EUR |
Ja i.H.v. 90,25 EUR |
195,56 EUR |
5 Akteneinsichtspauschalen |
60,00 EUR |
0,00 EUR |
Ja i.H.v. 60,00 EUR |
0,00 EUR |
> |
> |
> |
625,25 EUR (Wert des Beschwerdegegenstandes) |
> |
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2.046,41 EUR |
1.058,20 EUR |
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1.224,81 EUR |
2 Aus den Gründen
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft gem. § 464b S. 3 StPO, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG und auch i.Ü. zulässig, insbesondere binnen der Zwei-Wochenfrist des § 464b S. 4 StPO erhoben worden. Entgegen der in der Abhilfeentscheidung geäußerten Ansicht des AG ist der Beschwerdewert des § 304 Abs. 3 StPO erreicht worden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 625,25 EUR.
2. Die sofortige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.
a)
aa) Der Beschwerdeführer begehrt im Beleidigungs-Verfahren für den Hauptverhandlungstermin v. 8.8.2019 eine Termins...