§§ 311 Abs. 3, 464b S. 3 StPO; § 11 Abs. 2 RPflG
Leitsatz
In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit für den Rechtspfleger nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben (Anschluss an OLG Rostock, Beschl. v. 30.4.2018 – 20 Ws 78/18, AGS 2018, 330).
LG Aachen, Beschl. v. 1.4.2021 – 60 Qs 7/21
I. Sachverhalt
Der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten hatte gem. § 464b StPO die Festsetzung von Wahlverteidigergebühren i.H.v. insgesamt 2.085,27 EUR beantragt.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.1.2021 hat die Rechtspflegerin lediglich Kosten i.H.v. 1.556,31 EUR festgesetzt und den Antrag i.Ü. zurückgewiesen.
Der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten hat mit am 2.2.2021 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 2.2.2021 gegen den ihm am selben Tag zugestellten Beschl. v. 29.1.2021 sofortige Beschwerde eingelegt.
Mit Beschl. v. 11.2.2021 hat die Rechtspflegerin dem Rechtsmittel des Verteidigers des ehemaligen Angeklagten gegen den Beschl. v. 2.2.2021 nicht abgeholfen und zur Begründung Bezug auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
II. Keine Abhilfebefugnis des Rechtspflegers
Das LG Aachen hat festgestellt, dass der Nichtabhilfebeschluss der Rechtspflegerin (deklaratorisch) aufzuheben ist, da eine Abhilfemöglichkeit in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht besteht. Aus § 464b S. 3 StPO i.V.m. § 572 Abs. 1 ZPO ergebe sich eine solche Abhilfemöglichkeit in strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren nicht. Nach dieser Bestimmung seien auf das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung die Vorschriften der Zivilprozessordnung (nur) entsprechend anzuwenden. Deshalb fänden auf das Verfahren (§§ 103 ff. ZPO) und die Vollstreckung (§§ 794 ff. ZPO) der Kostenfestsetzung die Vorschriften der ZPO lediglich insoweit Anwendung, als sie strafprozessualen Prinzipien nicht widersprächen. Demgemäß seien für das Beschwerdeverfahren die §§ 304 ff. StPO – also auch § 311 Abs. 3 StPO – und nicht die entsprechenden Vorschriften der ZPO anwendbar (zutreffend BGH, Beschl. v. 27.11.2002 – 2 ARs 239/02, AGS 2003, 177; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., 2019, § 464b Rn 4 m.w.N. zum Streitstand). Der gleichwohl erlassene Nichtabhilfebeschluss sei im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben (vgl. OLG Rostock AGS 2018, 330; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., 2019, § 464b Rn 4 m.w.N.).
III. Bedeutung für die Praxis
Der Entscheidung ist zuzustimmen. In der gerichtlichen Praxis ist immer wieder festzustellen, dass Rechtspfleger in Beschwerdeverfahren gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse in Straf- und Bußgeldsachen Abhilfeentscheidungen treffen. In den der Entscheidung des LG Aachen sowie der Entscheidung des OLG Rostock (AGS 2018, 330) zugrunde liegenden Fällen wurde die jeweilige Nichtabhilfe-Entscheidung deklaratorisch aufgehoben. Ungleich schwerer wiegen natürlich die Fälle, in denen Rechtspfleger der Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss in unzulässiger Weise abhelfen und damit eine Entscheidung durch die Beschwerdeinstanz verhindern.
Allerdings ist für die Abhilfe zwischen der sofortigen Beschwerde und der Erinnerung zu unterscheiden:
1. Sofortige Beschwerde
a) Bei Anwendung der strafprozessualen Vorschriften kann der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss in Straf- und Bußgeldsachen nur abhelfen, wenn die Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 S. 2 StPO gegeben sind (Verwertung von Tatsachen oder Beweisergebnissen zum Nachteil des Beschwerdeführers, aufgrund des nachträglichen Vorbringens wird die Beschwerde für begründet erachtet; vgl. OLG Celle StraFo 2018, 525 = RVGreport 2019, 109 = Sonderausgabe StRR 12/2018, 2; OLG Düsseldorf Rpfleger 1999, 234; OLG Hamm NJW 1999, 3726; OLG Rostock AGS 2018, 330; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 464b Rn 7). Eine Abhilfebefugnis besteht daher nach weit überwiegender Auffassung grds. nicht (KG RVGreport 2012, 76; OLG Brandenburg Rpfleger 1999, 174; OLG Celle, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main Rpfleger 1999, 119; OLG Hamm Rpfleger 1999, 436; 2004, 732; OLG Karlsruhe Rpfleger 1999, 64; OLG Rostock RVGreport 2017, 130 = NStZ-RR 2017, 126; AGS 2018, 330; OLG Saarbrücken Rpfleger 1999, 175; AGS 2014, 251 = RVGreport 2014, 103; LG Hildesheim JurBüro 2015, 194 = RVGreport 2015, 152 = StRR 2015, 199; LG Koblenz, Beschl. v. 5.2.2010 – 9 Qs 15/10; Hansens, Rpfleger 1999, 105).
Deshalb ist eine Abhilfeentscheidung entbehrlich (OLG Hamm, a.a.O.; LG Hildesheim, a.a.O.). Das LG Aachen hat zutreffend entschieden, dass eine gleichwohl ergangene Nichtabhilfeentscheidung vom Beschwerdegericht (deklaratorisch) aufzuheben ist (so auch OLG Rostock AGS 2018, 330).
b) Soweit die Gegenauffassung eine Abhilfemöglichkeit durch den Rechtspfleger zulässt (vgl. OLG Koblenz MDR 1999, 505; OLG Köln Rpfleger 1999, 121; OLG München Rpfleger 1999, 16; OLG Schleswig SchlHA 2011, 207; OLG Stuttgart JurBüro 1999, 88), wird dies insbesondere damit begründet, dass die ein Abhilfeverfahren ausschließenden Besonderheiten des strafprozessualen Beschwerdeverfahrens für das Kostenfestsetzungsve...