§ 15 Abs. 2 RVG
Leitsatz
Wird der Rechtsanwalt vom Mandanten im engen zeitlichen Zusammenhang zur Trennung und zur Entscheidung, sich scheiden zu lassen, beauftragt, ihn gegenüber seinem Ehepartner wegen der finanziellen Folgen von Trennung und Scheidung außergerichtlich zu vertreten und mit ihm eine außergerichtliche Vereinbarung zu treffen, kann er in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit tätig sein, wenn er außergerichtlich Verhandlungen mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Ehepartners führt.
BGH, Urt. v. 29.10.2020 – IX ZR 264/19
I. Sachverhalt
Der Beklagte hatte seinen Anwalt neben der Scheidung mit der außergerichtlichen Vertretung in seinen Familiensachen beauftragt. Im Einzelnen war der Anwalt mit der Ehescheidungssache und weiterer Gegenstände (Versorgungsausgleich, Unterhalt, Vermögensauseinandersetzung, Nutzungsentschädigung) beauftragt. Im Mai 2014 beantragte der Anwalt für den Beklagten auftragsgemäß die Scheidung nebst Versorgungsausgleich. In einem weiteren Verfahren beantragte der Anwalt namens des Beklagten, die Ehefrau zu verpflichten, an den Beklagten wegen seit der Trennung bereits erfolgter Zahlungen auf einen gemeinsam aufgenommenen Kredit 2.922,00 EUR zu zahlen und diesen von den Kreditforderungen des Darlehensgebers i.H.v. weiteren 57.414,17 EUR freizustellen. Nachdem der Anwalt dem Beklagten wegen dieser Tätigkeit eine Vorschussrechnung zugeleitet hatte, kündigte dieser mit Schreiben vom 28.9.2014 das Mandat. Daraufhin rechnete der Anwalt gegenüber dem Beklagten im Oktober 2014 seine Tätigkeiten mit vier Rechnungen ab. Eine Rechnung betraf die außergerichtliche Vertretung des Beklagten in den Sachen Ehescheidung, Versorgungsausgleich, Kindesunterhalt/Trennungsunterhalt, Vermögensauseinandersetzung und Steuererstattungsansprüche und die gerichtliche Vertretung in der Ehescheidung nebst Versorgungsausgleich, eine zweite Rechnung betraf die gerichtliche Vertretung in der Unterhaltssache, eine dritte die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung des Beklagten in der Nutzungsentschädigungssache. Die vierte Rechnung betraf die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung in der Sache Gesamtschuldnerausgleich. Es ergab sich insoweit folgende Berechnung, die der Anwalt einklagte:
Gesamtschuldnerausgleich
(Gegenstandswert: 60.336,17 EUR)
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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1.622,40 EUR |
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(Wert: 60.336,17 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
3. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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1.622,40 EUR |
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(Wert: 60.336,17 EUR) |
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4. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV anzurechnen |
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– 811,20 EUR |
5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
2.473,60 EUR |
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6. |
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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469,98 EUR |
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Gesamt |
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2.943,58 EUR |
Der Beklagte bezahlte die Rechnungen für Unterhalt und Nutzungsentschädigung, nicht aber die für den Gesamtschuldnerausgleich. Das AG hat die daraufhin erhobene Klage des Anwalts abgewiesen. Im Berufungsverfahren ist das LG davon ausgegangen, dass dem Anwalt insgesamt nur eine Geschäftsgebühr aus den addierten Werten von Unterhalt, Nutzungsentschädigung und Gesamtschuldnerausgleich zustehe und der Klageauftrag zum Gesamtschuldnerausgleich nicht bewiesen sei. Ausgehend hiervon hat das Gericht noch folgende weitere Vergütung zugesprochen:
(Gegenstandswert: 181.662,17 EUR)
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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2.506,40 EUR |
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(Wert: 181.662,17 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
2.526,40 EUR |
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3. |
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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480,02 EUR |
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Gesamt |
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3.006,42 EUR |
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./. bereits aus 121,326 EUR |
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(Nutzungsentschädigung und Unterhalt) |
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abgerechneter |
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– 2.480,44 EUR |
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Rest |
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528,98 EUR |
Die hiergegen erhobene Revision hatte keinen Erfolg.
II. Nur eine Angelegenheit
1. Keine Rechtsfehler des Berufungsgerichts
Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Grundsätze in tatrichterlicher Würdigung angenommen, dass die Tätigkeit des Klägers betreffend den Gesamtschuldnerausgleich in derselben Angelegenheit erfolgte wie seine Tätigkeit bezüglich der übrigen finanziellen Auswirkungen der Trennung und der Scheidung. Rechtsfehler sind ihm dabei nicht unterlaufen.
Eine gesonderte Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Tätigkeit hinsichtlich des Gesamtschuldnerausgleichs steht dem Kläger nicht zu. Vielmehr handelt es sich bei der außergerichtlichen Vertretung hinsichtlich der verschiedenen Familiensachen (Nutzungsentschädigung, Unterhalt und Gesamtschuldnerausgleich) um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG. Daher kann die Geschäftsgebühr gem. § 15 Abs. 2 RVG insgesamt nur einmal aus dem Gesamtwert verlangt werden.
2. Dieselbe Angelegenheit
Nach der Rspr. des BGH lässt sich die Frage, ob der Rechtsanwalt in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit oder in mehreren tätig geworden ist, nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten, wobei insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend ist (BGH NJW 2014, 2126 Rn 14; NJW 2018, 3586 Rn 8). Weisungsgemäß...