§ 14 RVG; § 46 OWiG; § 464a StPO
Leitsatz
- Private Ermittlungen sind in der Regel nicht notwendig/erstattungsfähig. Etwas anderes gilt, wenn sich die Prozesslage des Betroffenen/Angeklagten aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung der Beweislage ohne eigene Ermittlungen alsbald erheblich verschlechtert hätte oder wenn komplizierte technische Fragen betroffen sind, sodass insbesondere die Einholung eines Privatgutachtens im Interesse einer effektiven Verteidigung als angemessen und geboten erscheinen durfte.
- Die Kosten für ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten sind nicht nach den Grundsätzen des JVEG zu erstatten. Diese können allerdings als Richtlinie herangezogen werden.
- Durch ein anthropologisches Sachverständigengutachten wird kein abgelegenes oder technisch schwieriges Sachgebiet betroffen.
LG Oldenburg, Beschl. v. 28.3.2022 – 5 Qs 108/20
I. Sachverhalt
Das AG hat ein straßenverkehrsrechtliches Bußgeldverfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt. Die von der Betroffenen geltend gemachten Kosten und Auslagen sind vom AG nur zum Teil festgesetzt worden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Betroffenen hatte teilweise Erfolg.
II. Rechtsanwaltsgebühren
Vom AG und auch vom LG sind die beantragte Grundgebühr (Nr. 5100 VV) sowie die Verfahrensgebühren (Nrn. 5103 und 5109 VV) als erheblich übersetzt und damit als unbillig (§ 14 Abs. 1 RVG) angesehen worden. Hinsichtlich der Gebühren nach Nrn. 5100 und 5103 VV sei darauf hinzuweisen, dass keineswegs von einer überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Betroffene ausgegangen werden könne. Objektiv habe ausweislich des Bußgeldbescheides lediglich eine Geldbuße von 180,00 EUR gedroht. Den ursprünglich im Anhörungsschreiben erhobenen Vorwurf nach Nr. 12.7.3 BKat (bei einer Geschwindigkeit von mehr als 130 kam weniger als 3/10 des halben Tachowertes Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug gehalten zu haben) habe die Bußgeldbehörde von sich aus unmittelbar in einen Vorwurf nach Nr. 12.7.2 BKat (weniger als 4/10 des halben Tachowertes) korrigiert, sodass kein Fahrverbot gedroht habe. I.Ü. hätte auch dieses nicht die Annahme einer überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit gerechtfertigt, da gravierende Auswirkungen für die Betroffene weder aktenersichtlich noch vorgetragen sind. Angesichts der allerdings überdurchschnittlichen Tätigkeit des Verteidigers während des gerichtlichen Verfahrens insbesondere im Hinblick auf die Überprüfung der Messung unter Berücksichtigung der im Bemessungsfaktoren des § 14 RVG jedoch eine Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV in Höhe der Mittelgebühr als angemessen festzusetzen.
III. Sachverständigenkosten
1. Verkehrssachverständiger
a) Grundsatz
Wegen der von der Betroffenen geltend gemachten Kosten für das von ihr eingeholte Gutachten eines Verkehrssachverständigen verweist das LG darauf, dass diese grds. zu den nach § 464a Abs. 2 StPO zu erstattenden notwendigen Auslagen zählen. Zwar seien private Ermittlungen in der Regel nicht notwendig, weil Bußgeldbehörde und Gericht bereits von Amts wegen zur Sachaufklärung verpflichtet seien. Die Möglichkeiten, ggfs. Beweisanträge im Ermittlungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren zu stellen, müsse der Betroffene bzw. Angeklagte daher grds. ausschöpfen, bevor private Sachverständigengutachten eingeholt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., 2021, § 464a Rn 16 m.w.N.). Eine Erstattungsfähigkeit kommt demgegenüber aber ausnahmsweise in Betracht, wenn sich die Prozesslage des Betroffenen aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung der Beweislage ohne solche eigenen Ermittlungen alsbald erheblich verschlechtert hätte oder wenn komplizierte technische Fragen betroffen seien, sodass insbesondere die Einholung eines Privatgutachtens im Interesse einer effektiven Verteidigung als angemessen und geboten erscheinen durfte (KK/StPO-Gieg, 8. Aufl., 2019, § 464a Rn 7 m.w.N.).
So sei es hier: Zu Recht weise der Verteidiger darauf hin, dass die Bußgeldrichterin bereits mit der Ladung zum Hauptverhandlungstermin darauf hingewiesen hatte, dass ihrer Auffassung nach keine Zweifel an der Richtigkeit der Messung und Zuordnung des Fahrzeuges der Betroffenen bestanden haben. Ohne die Anbringung konkreter Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung wäre daher damit zu rechnen gewesen, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde. Zur Überprüfung auf solche Zweifel sei angesichts der technisch komplizierten Materie aber die Überprüfung durch einen Sachverständigen notwendig gewesen.
b) Höhe der Sachverständigenkosten
Nach Auffassung des LG waren die Sachverständigenkosten allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe zu erstatten. Zwar seien die Kosten für ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten nicht nach den Grundsätzen des JVEG zu erstatten. Diese können allerdings – so d...