§ 91 Abs. 1 ZPO

Leitsatz

  1. Ist der Kläger ohne die Einholung eines Privatgutachtens infolge fehlender Sachkenntnis zu einem sachgerechten Vortrag oder zur Bezifferung der Klageforderung nicht in der Lage, sind die hierdurch angefallenen Privatgutachtenkosten erstattungsfähig.
  2. Dies gilt in einem Rechtsstreit auf Rückabwicklung eines Versicherungsvertrags auch dann, wenn der klagende Versicherungsnehmer die Möglichkeit gehabt hätte, gegen die Versicherung im Wege einer Stufenklage vorzugehen. Denn auch in einem solchen Fall hätte der Kläger die im Zuge der Auskunft erteilten Angaben der Versicherung unter Hinzuziehung eines Privatgutachters einer Plausibilitätsprüfung unterziehen können.

OLG Köln, Beschl. v. 21.7.2021 – 17 W 51/20

I. Sachverhalt

Der Kläger hatte vor dem LG Bonn auf Rückabwicklung eines zwischen den Parteien bestehenden Lebensversicherungsvertrags wegen eines zuvor von ihm erklärten Widerspruchs in Anspruch genommen. Zur Berechnung seines Rückzahlungsverlangens von 33.805,68 EUR hat sich der Kläger auf ein von ihm im Laufe des Rechtsstreits eingeholtes versicherungsmathematisches Gutachten berufen. Für dessen Erstellung hat der Privatgutachter dem Kläger ein Honorar i.H.v. 1.290,00 EUR einschließlich Umsatzsteuer berechnet. Der Rechtsstreit endete durch ein vom LG festgestellten Vergleich, nach dem die Beklagte sich zum Ausgleich sämtlicher Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verpflichtete, an den Kläger 33.849,86 EUR zu zahlen. Von den Kosten des Rechtsstreits hatte der Kläger nach dem Vergleich 10 % und die Beklagte zu 90 % zu tragen.

Aufgrund dieser Kostenregelung hat der Kläger die Ausgleichung seiner außergerichtlichen Kosten, darunter der Privatgutachtenkosten, beantragt. Der Rechtspfleger hat die Kosten anteilig gegen die Beklagte festgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde, der der Rechtspfleger des LG Bonn nicht abgeholfen hatte, hatte beim OLG Köln keinen Erfolg.

II. Erstattungsfähigkeit der Privatgutachtenkosten

1. Grundsatz

Zu den von der (hier teilweise) unterliegenden Partei gem. § 91 Abs. 1 ZPO zu tragenden Kosten des Rechtsstreits zählen insbesondere die der erstattungsberechtigten Partei erwachsenden Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Das OLG Köln hat darauf hingewiesen, dass hierzu auch die Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens gehören können, wenn die nachfolgend erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind.

2. Prozessbezogenheit

Die Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens gehören nach den weiteren Ausführungen dann zu den Kosten des Rechtsstreits, wenn das Gutachten unmittelbar prozessbezogen ist. Die Tätigkeit des Privatgutachters müsse also in unmittelbarer Beziehung zum Rechtsstreit stehen. Hiervon sei insbesondere dann auszugehen, wenn die Begutachtung im Hinblick auf den sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit erfolge (BGH AGS 2018, 579 = RVGreport 2018, 466 [Hansens] = zfs 2019, 285; BGH AGS 2006, 461 m. Anm. Onderka = RVGreport 2006, 315 [Hansens]).

Demgegenüber seien Kosten eines Privatgutachtens, das zunächst der Klärung des materiell-rechtlichen Verhältnisses diene, nicht prozessbezogen. Dies betreffe etwa ein Privatgutachten, das der Prüfung der Einstandspflicht einer Versicherung vorangehe (s. OLG Stuttgart JurBüro 2019, 307).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das OLG Köln hier die Privatgutachtenkosten als prozessbezogen angesehen. Der Kläger habe den Privatgutachter mit Rücksicht auf den laufenden Rechtsstreit beauftragt. Bereits hieraus ergebe sich die Prozessbezogenheit der Privatgutachtenkosten (s. BGH zfs 2013, 346 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 236 [Hansens]).

3. Notwendigkeit

Die Hinzuziehung des Privatgutachters war nach Auffassung des OLG Köln auch sachdienlich und damit notwendig. Für die Beurteilung dieser Frage sei darauf abzustellen, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme – ex ante – als sachdienlich habe ansehen dürfen. Sachdienlich sei die Hinzuziehung eines Privatgutachters insbesondere dann, wenn die Partei ohne die Einholung des Privatgutachtens infolge fehlender Sachkenntnis zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage wäre oder ein ihr nachteiliges gerichtliches Sachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermöge (BGH zfs 2012, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2012, 229 [Hansens]). Dies sei unabhängig von der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in dem betreffenden Fall zu beurteilen (BGH AGS 2018, 579 = zfs 2019, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2018, 466 [Hansens]).

Ebenso wenig komme es darauf an, ob das Privatgutachten die Entscheidung des Gerichts positiv beeinflusst habe (BGH AGS 2018, 579 = zfs 2019, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2018, 466 [Hansens]).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das OLG Köln die Einholung des Privatgutachtens durch den Kläger als sachdienlich angesehen. Als Versicherungsnehmer ohne besondere Fachkenntnisse sei der Kläger zu einer eigenen Berechnung des Rückabwicklungssaldos aus dem widerrufenen Versicherungsvertrag nicht in der Lage ...

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