I. Fragen
1. Fall 1
In einer Erbschaftsangelegenheitssache hat E1, vertreten durch Rechtsanwalt A, die Erteilung eines Erbscheins beantragt. Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen legt Rechtsanwalt A für E1 auftragsgemäß Beschwerde ein und begründet diese ausführlich. Das Beschwerdegericht weist die Beschwerde ohne vorherige Anhörung der übrigen Verfahrensbeteiligten und ohne Durchführung eines Termins zurück und setzt den Verfahrenswert auf 120.000,00 EUR fest.
a) Welche Vergütung steht dem Rechtsanwalt A zu?
b) Welche Gebühren und Auslagen entstehen den beteiligten Anwälten, wenn das Beschwerdegericht den weiteren Verfahrensbeteiligten E2 anhört, dessen Rechtsanwalt B auf die Beschwerde erwidert und Rechtsanwalt A zu dieser Beschwerdeerwiderung Stellung nimmt?
2. Fall 2
Kläger K hat vor dem LG Berlin gegen das beklagte Bauunternehmen eine Schadensersatzklage wegen einer Vielzahl von Baumängeln an seinem Einfamilienhaus erhoben, deren Vorliegen der Beklagte bestreitet. Das LG Berlin hat deshalb ein umfangreiches Gutachten eines Bausachverständigen eingeholt. Nach den Ausführungen in diesem Gutachten liegen viele der vom Kläger geltend gemachten Baumängel nicht vor. Bei einigen von dem Sachverständigen festgestellten Baumängeln schätzt dieser die Beseitigungskosten viel geringer ein als der Kläger sie veranschlagt hat. Der Kläger, der von der Materie nichts versteht, holt hieraufhin ein Privatgutachten mit dem Ziel ein, das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu erschüttern. Der Privatgutachter kommt in seinem Gutachten hinsichtlich des Vorliegens der Baumängel und zu den Kosten der Beseitigung der Mängel zu einem dem Kläger viel günstigeren Ergebnis als der gerichtlich bestellte Sachverständige. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers nimmt unter Hinweis auf die Feststellungen des Privatgutachters ausführlich zu dem Gutachten des Gerichtssachverständigen Stellung und fügt eine Abschrift des Privatgutachtens bei. Nachdem auch der Beklagte zu dem Gerichts- und dem Privatgutachten Stellung genommen hat, gibt das LG Berlin der Klage des Klägers zu großen Teilen statt und erlegt dem Kläger 30 % und dem Beklagten 70 % der Kosten des Rechtsstreits auf. In seinem Urteil folgt das Gericht zum Teil den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, zum anderen Teil aber auch den Feststellungen des Privatgutachters.
Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragt der Kläger die Ausgleichung der Gerichts- und der Anwaltskosten sowie der Privatgutachtenkosten i.H.v. 9.000,00 EUR.
Der Beklagtenvertreter prüft, ob die Privatgutachtenkosten erstattungsfähig sind.
Welche Überlegungen hat der Rechtsanwalt anzustellen?
II. Lösungen
1a) Lösung zu Fall 1 – Ausgangsfall
I. Verfahrensgebühr
1. Anfall
Rechtsanwalt A fällt für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information nach der allgemeinen Regelung in Vorbem. 3 Abs. 2 VV eine Verfahrensgebühr an. In welcher Höhe diese entsteht, ergibt sich aus der maßgeblichen Gebührenvorschrift in Teil 3 VV.
2. Höhe
Der als Verfahrensbevollmächtigte im Erbscheins-Beschwerdeverfahren tätige Rechtsanwalt verdient grds. die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV. Hierfür muss der Rechtsanwalt jedoch über das Betreiben des Geschäfts hinaus noch weitere Tätigkeiten entfaltet haben, die in Abs. 1 und 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV aufgeführt sind, bevor sein Auftrag endet. Anderenfalls kann der Rechtsanwalt lediglich die ermäßigte – hier 1,1- – Verfahrensgebühr abrechnen.
Rechtsanwalt A hat die Beschwerde gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts eingelegt, sodass eine Ermäßigung nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3201 VV nicht in Betracht kommt. Da Rechtsanwalt A aber in einer Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig gewesen ist, ist ferner zu prüfen, ob nur eine eingeschränkte Tätigkeit i.S.v. Abs. 2 Nr. 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV vorliegt. Das war hier der Fall, weil die Tätigkeit des Rechtsanwalts A auf die Einlegung der Beschwerde beschränkt war. Folglich ist Rechtsanwalt A nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV angefallen.
II. Gegenstandswert
Die vom Beschwerdegericht getroffene Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblich.
III. Vergütungsberechnung
Rechtsanwalt A stehen deshalb folgende Gebühren und Auslagen zu:
1. |
1,1-Verfahrensgebühr, Nr. 3200, 3201, Abs. 2 Nr. 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV |
1.923,90 EUR |
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(Wert: 120.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
369,34 EUR |
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Gesamt |
2.313,24 EUR |
1b) Lösung zu Fall 1 – Abwandlung
I. Vergütung des Rechtsanwalts A
Rechtsanwalt A hat für das Betreiben des Geschäfts nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV eine Verfahrensgebühr verdient, deren Höhe sich nach den Nrn. 3200, 3201 VV bestimmt.
In der Abwandlung ist für Rechtsanwalt A die Verfahrensgebühr nicht auf den Satz von 1,1 beschränkt, da keine der in Abs. 1 und 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV bestimmten Ermäßigungsregelungen eingreift. In der Abwandlung hat sich seine Tätigkeit nicht auf die Einlegung und Begründung der Beschwerde beschränkt. Vielmehr hat Rechtsanwal...