§ 403 StPO; § 37 RVG; § 34a BVerfGG
Leitsatz
- Wird mit der Verfassungsbeschwerde – ggf. lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG regelmäßig abhängig ist. Etwas anderes gilt, wenn das Anhörungsrügeverfahren offensichtlich aussichtslos ist.
- Eine Anhörungsrüge ist ausnahmsweise auch statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung betreffend einen Adhäsionsantrag irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft oder den Adhäsionsantrag stillschweigend übergangen hat.
- Die Anordnung der Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG steht im Ermessen des Gerichts und setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorgetragen oder ersichtlich sind.
- Ein höherer Gegenstandswert als der Mindestgegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht.
BVerfG, Beschl. v. 3.3.2023 – 2 BvR 1810/22
I. Sachverhalt
Die durch einen Betrug Geschädigte wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil und rügt, ein von ihr gestellter Adhäsionsantrag sei übergangen worden. Sie macht einen Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot, den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.
Die Geschädigte war im Juni 2020 Opfer eines Betrugs geworden. Sie erlitt einen Vermögensschaden i.H.v. 110,00 EUR. Die Staatsanwaltschaft erhob im September 2020 Anklage zum AG wegen gewerbsmäßigen Betrugs durch 16 selbstständige Handlungen, darunter auch die gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Tat. Die Anklageerhebung wurde der Geschädigten mitgeteilt.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2020 stellte die Geschädigte einen Adhäsionsantrag. Sie sei durch die Straftat geschädigt worden und beantrage, den Angeklagten zu einer Zahlung von 110,00 EUR nebst Prozesszinsen zu verurteilen. Auf Nachfragen des Prozessbevollmächtigten vom 21.12.2020 und 16.4.2021 nach dem Stand des Verfahrens wurde jeweils geantwortet, ein Termin zur Hauptverhandlung stehe noch nicht fest. Mit dem hier angegriffenen Urt. v. 28.7. 2021 verurteilte dann das AG den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 21 Fällen zu einer Freiheitsstrafe. Zudem ordnete es die Einziehung der Taterträge an. Unter den abgeurteilten Taten befand sich auch die Tat zu Lasten der Geschädigten. Den Adhäsionsantrag der Geschädigten erwähnte und beschied das AG nicht. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Berufung ein.
Mit Schreiben vom 17.8.2021 fragte der Prozessbevollmächtigte der Geschädigten erneut nach dem Sachstand. Das AG antwortete, der Angeklagte sei mit Urt. v. 28.7.2021 verurteilt worden; er habe hiergegen Berufung eingelegt. Ein Adhäsionsantrag sei nicht bekannt. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3.9.2021 ließ die Geschädigte dann die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs und des rechtlichen Gehörs durch das Vorgehen des AG rügen. Ihr Adhäsionsantrag sei zu Unrecht übergangen worden und sie sei entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Hauptverhandlung geladen worden. Eine am 16.9.2021 erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG mit Beschl. v. 22.12.2021 nicht zur Entscheidung angenommen, da die Geschädigte ihren Adhäsionsantrag im Berufungsverfahren noch weiterverfolgen könne. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2021 hat die Geschädigte dann ihren Adhäsionsantrag für das Berufungsverfahren wiederholt. In der Hauptverhandlung am 22.6.2022 hat der der Angeklagte seine Berufung zurückgenommen. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.9.2022 übersandt.
Das BVerfG hat die am 7.10.2022 beim BVerfG eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
II. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Das BVerfG sieht die Verfassungsbeschwerde als – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nicht zulässig an. Die Geschädigte habe den Rechtsweg noch nicht erschöpft.
1. Rechtswegerschöpfung
Nach Auffassung des BVerfG genügte die Verfassungsbeschwerde nicht dem Gebot der Rechtswegerschöpfung. Die Anhörungsrüge nach § 33a S. 1 StPO zähle vorliegend zum Rechtsweg.
Werde mit der Verfassungsbeschwerde – ggf. lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehöre eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG regelmäßig abhängig sei. Erhebe ein Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, habe das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig sei, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsvers...