§ 10 Abs. 1 S. 1 RVG

Leitsatz

Ein Rechtsanwalt ist auch nach seinem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet, zur Einforderung seiner Vergütung außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnungen zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn ein Abwickler nicht bestellt oder der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist.

BGH, Versäumnisurt. v. 16.2.2023 – IX ZR 189/21

I. Sachverhalt

Die L. GbR hatte den Rechtsanwalt im Jahr 2013 mit mehreren Rechtsanwaltsdienstleistungen beauftragt, die dieser im selben Jahr erbracht hatte. Mit Wirkung vom 9.6.2015 war der Rechtsanwalt aus der Anwaltschaft ausgeschieden. Für die gegenüber der L. GbR erbrachten Leistungen erstellte der Rechtsanwalt am 28.12.2015 zwei Rechnungen und am 27.12.2016 17 weitere Rechnungen. Auf den Rechnungen vom 28.12.2015 war seiner Unterschrift maschinenschriftlich der Zusatz "Rechtsanwalt" angefügt. Die Rechnungen vom 27.12.2016 enthielten diesen Zusatz nicht.

Am 31.12.2015 hat der Kläger hinsichtlich der Rechnungen aus dem Jahr 2015 allein gegen die L. GbR und am 31.12.2016 bezüglich der übrigen Rechnungen Mahnbescheide beantragt und die L. GbR sowie gesamtschuldnerisch u.a. den Beklagten, den er vor dem LG Kassel auf Zahlung verklagt hatte, in Anspruch genommen. Das Mahngericht hat die Mahnbescheide antragsgemäß erlassen und der L. GbR zugestellt.

Mit seiner vor dem LG Kassel erhobenen Klage hat der Rechtsanwalt die der L. GbR in den vorstehend erwähnten Rechnungen aufgeführten Honorare i.H.v. insgesamt 95.406,89 EUR gegen den Beklagten geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Rechtsanwalts hatte vor dem OLG Frankfurt keinen Erfolg. Das OLG hat die Berufungszurückweisung damit begründet, dem Kläger stehe der geltend gemachte Honoraranspruch gegen den Beklagten deshalb nicht zu, weil er seiner Mandantschaft keine ordnungsgemäße Abrechnung der Vergütung nach § 10 Abs. 1 S. 1 RVG vorgelegt habe. Deshalb seien die streitigen Vergütungsansprüche nicht einforderbar. Nach Auffassung des OLG Frankfurt war der Kläger infolge der Beendigung seiner Zulassung als Rechtsanwalt nicht mehr zur wirksamen Unterzeichnung der verfahrensgegenständlichen Vergütungsberechnungen in der Lage gewesen.

Die hiergegen eingelegte Revision hatte beim BGH Erfolg.

II. Grundsätze des anwaltlichen Vergütungsrechts

Beim anwaltlichen Vergütungsrecht muss zwischen dem Anfall der Vergütung des Rechtsanwalts, deren Fälligkeit und der Einforderbarkeit der Vergütung unterschieden werden.

1. Anfall der Vergütung

Nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 RVG besteht die anwaltliche Vergütung aus Gebühren und Auslagen. Der Vergütungsanspruch entsteht, wenn der Rechtsanwalt erstmals den jeweiligen Gebühren- bzw. Auslagentatbestand erfüllt hat. So fällt etwa im Zivilprozess die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information an.

2. Fälligkeit der Vergütung

Die nach Maßgabe der vorstehenden Erörterung entstandene Vergütung wird gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrages oder der Beendigung der Angelegenheit fällig. Für die Vergütung in einem gerichtlichen Verfahren regelt § 8 Abs. 1 S. 2 RVG weitere Fälligkeitstatbestände. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass der Rechtsanwalt die von der L. GbR in Auftrag gegebenen anwaltlichen Tätigkeiten in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 erbracht hatte. Somit seien die Vergütungsansprüche noch im selben Jahr i.S.v. § 8 Abs. 1 RVG fällig geworden.

Dies hatte i.Ü. zur Folge, dass die Verjährungsfrist von drei Jahren ohne Rücksicht auf die Mitteilung der jeweiligen Vergütungsberechnung (s. § 10 Abs. 1 S. 2 RVG) gem. §§ 195, 199 BGB mit dem Schluss des Jahres 2013 zu laufen begonnen hatte und mit Ablauf des 31.12.2016 beendet gewesen ist. Die gegen die L. GbR gerichteten Mahnanträge hatten jedoch die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB rechtzeitig gehemmt. Die Zustellungen an die L. GbR waren nämlich am 9.1.2016 und am 7.1.2017 und damit demnächst i.S.v. § 167 ZPO erfolgt.

Der BGH hat darauf hingewiesen, dass sich die Hemmung der Verjährung der Gesellschaftsschuld auch zu Lasten des Gesellschafters, hier also zu Lasten des Beklagten, ausgewirkt hat. Die betreffende Regelung in § 129 Abs. 1 HGB gelte nämlich für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sinngemäß (s. BGH WM 2011, 1036 und WM 2019, 2019).

3. Einforderbarkeit der Vergütung

Die somit angefallene und fällig gewordene Vergütung des Rechtsanwalts ist erst dann einforderbar, wenn der Rechtsanwalt dem Auftraggeber gem. § 10 Abs. 1 S. 1 RVG eine formell ordnungsgemäße Vergütungsberechnung unter Beachtung der in § 10 Abs. 2 RVG aufgeführten Voraussetzungen erteilt hat. Diese Anforderungen hatte hier der Kläger nach Auffassung des BGH erfüllt.

a) Auch der ehemalige Rechtsanwalt kann die Berechnung erteilen

Der IX. ZS des BGH hatte bereits im Jahre 2004 zu der Regelung des § 18 Abs. 1 S. 1 BRAGO entschieden, dass der ehemalige Rechtsanwalt als Gläubiger seiner Vergütungsansprüche auch nach dem Ausscheiden aus der...

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